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S A T I R I S C H E   S P R A C H V E R S E

 

Eine Einführung in Sprach- und Literaturwissenschaft(ler/lerinnen)

 

 

(von Werner Wolski übersetzte und für die deutschen Leser eingerichtete Fassung einer ihm im Jahre 1992

zugegangenen Schrift, deren bedeutender Urheber sein Inkognito wahren muss, was ihm hiermit gewährt wird)

 

 

Vorwort

             

Was der Autor glaubte darlegen zu sollen, ist dem Inhalt und der Form nach durchaus problematisch und vielleicht sogar eine Zumutung für die Leser. Er weiß selbstverständlich, was er angestellt hat; niemand braucht ihn darauf hinzuweisen, was er im Einzelnen hätte verbessern oder lieber hätte unter­lassen sollen. Er gehört - und das möchte er, obwohl es bei der Lektüre seiner Verse ohnehin klar wird, nicht unerwähnt lassen - schließlich nicht zur Familie der Analpha­beten. Und er gehört auch nicht einer ihr verwandten Sipp­schaft an, die irgendwo auf der Volkshochschule oder über einen  Fernkurs ge­lernt hat, nach dem Motto „Reim dich, oder ich fress dich" Verse zu schmieden und dann glaubt, primitive und ganz unbe­deutende Lebenserfahrungen in irgendeiner epi­gonalen Art und Weise, sei es als Gedicht oder sonstwie (Erzählung, Roman), einem geistig armseligen Publikum dar­legen zu müssen.

 

Nein - : Mit dem, was hier nachfolgend sprachlich geschieht, verhält es sich ganz anders; manches ist bereits vom Gegen­stand her ganz ausgefallen und der Form nach ungewöhnlich. Es ist deshalb nicht einfach, es selbst belesenen Personen zu vermitteln. Wenngleich die Verse nicht ausschließlich (zumindest nicht in den sich an den Anfangsteil anschließen­den Partien) an Experten und angehende Fachleute für Sprache und Literatur adressiert sind, werden doch recht viele Kennt­nisse vorausgesetzt: Die Verse reichen eben in Sinnprovinzen hin­ein, die nicht jedem zugänglich sind; und das ist auch ganz normal und gut so. Vielleicht ist er auch einfach nur schon viel zu lange mit der Sprachwissen­schaft sozusagen „verheiratet“. 

 

Aber das Lachen hat er durchaus noch nicht verlernt. Selbst­verständlich lacht er am liebsten über theoretische Abseitig­keiten und über diejenigen, die solche auch noch ernsthaft zu verkaufen imstande sind. Und vielleicht hat er gerade deswe­gen viel Verständnis für sprachlich versierte, aber unverbil­dete Leser, egal aus welcher Sparte sie kommen - wenn sie nur genügend Interesse für Sprache und Literatur mitbringen. Von ihnen gibt es durchaus noch recht viele, wie der Autor aus eigener Anschauung weiß. Und diese wären ihm als Leser am liebsten, weil er erwartet, dass sie ihn am be­sten verstehen können. Es mögen Laien sein, die das sind, was man früher als „gebildet" bezeichnet hat, und selbstverständ­lich Sprach-Fachleute - jedenfalls solche eines bestimmten Typs.

 

Denn was soll er von solchen Angehörigen der Fachwis­senschaften erwar­ten, die doch meist irgendwohin abgeho­ben, borniert, zu ernst und stumpfsinnig sind, und welche entweder die Nase zu hoch in die Luft erheben, oder aber diese bereits auf dem Boden hängen haben? Was soll er von solchen erwarten, die eine Wis­senschaftler-Rolle vor anderen so per­fekt spielen, dass sie nichts mehr davon bemerken, was um sie herum an Komischem vor sich geht, und wozu sie selbst auch beitragen? - Der Autor hält es mit Montagne, der gesagt hat: „Unsere Narrheiten bringen mich nicht zum Lachen, sondern unsere Weisheitstue­rei". Und das war, was hier verraten sei, einer der Anstöße zu dieser fragwürdigen Unterneh­mung, zu der sich der Autor (mit Unterbrechungen über grö­ßere Zeiträume hinweg) aufge­macht hat.

 

Damit das ganz klar wird, sei es explizit gesagt: Der Autor will auf keinen Fall die Wissenschaft, die er vorstellt, und der er sich schließlich selbst verschrieben hat, in irgendei­ner Weise grundsätzlich in Frage stellen - eher ist das Ge­genteil der Fall. Und er will auch nicht die, welche sie aufführen, pauschal der Lächerlichkeit preisgeben. Er will nur aufzeigen, wo gewisse Narrheiten zu weit getrieben wur­den, und das - dünnbrettbohrerische Äußerungsformen und damit verbundene Lebenspraxis im Bereich der Wissenschaft ausgenom­men - durchaus in dem Sinne: „Wir irren allesamt, nur jeder irrt anders". Dies kann vor allem den Anfängern im Bereich einer Wissenschaft dazu verhelfen, das „Jurare in verba magi­stri", das Schwören auf die Worte eines Meisters, begründeter abzulegen.

 

Und diejenigen Leser, die einer Profession fernab der Be­schäftigung mit Sprache nachgehen, i. e. Vertreter(innen) anderer wissen­schaftlicher Disziplinen, brauchen gar nicht über die Sprach­ler zu lachen! Sollten sie sich dennoch in dem Irrglau­ben, das beträfe sie alles nicht, dazu hinreißen lassen, dann möchte ihnen der Autor die Worte zurufen: „Quid rides? Mutato nomine de te narratur fabula" – „Was lachst du? Unter verän­dertem Namen handelt die Fabel von dir". Nur -: Unter diesem „veränderten Namen" anderer Wissenschaftler(innen) konnte der Autor nicht auch noch versuchen, das dazustellen, was ihm aufgrund eigener Erfahrung am Beispiel vor allem der Sprachwissenschaftler(innen) und ein wenig auch der Literaturwissenschaftler(innen) einigermaßen gelungen ist.

 

Und schließlich sind weder die dem Typus nach (!) vorgestell­ten Perso­nen, noch deren (theoriebezogene und sonstige) Äuße­rungen frei erfunden. Eine explizite Übertragung auf jewei­lige andere Wissenschaften zu leisten, mögen doch andere übernehmen, die sich dazu berufen fühlen.

 

Der Autor kennt, wie gesagt, keine kleinmütigen Hemmungen das, was er glaubte formulieren zu müssen, einem größeren Pu­blikum vorzustellen. Er muss auch nicht befürchten, mit den am wenigsten vorteilhaften Rollen, die er geschaffen hat, selbst identifiziert zu werden; dies kann selbst dem gefährlichsten Rezensenten nicht gelingen. Auch ihn mit einer der anderen Rollen eindeutig in Zusammenhang zu bringen, wird nicht plausibel ge­macht werden können. Der Grund ist ganz einfach der: Da der Autor selbst ein erfahrener Kritiker ist, ist es ihm ein Leichtes gewesen, genügend Vorsorge zu schaffen, alle Spuren weitgehend zu verwischen. Versuche, dem nachzugehen, welche Rolle er selbst einnimmt, werden so von vornherein fehlschla­gen: Sie sind zwecklos; und entsprechen­des herauszufinden, wäre auch ganz uninteressant. Wichtiger ist, dass jeder und jede, sei es als Forscher/Forscherin oder als Stu­dent/Studentin aus dem Bereich der Sprachler, aber auch aus den Sprachlern ganz entfernten Bereichen, schnell wird erken­nen können, wer als Kandidat(in) in eigenem Erfah­rungsbereich zur Identifizierung der einen oder anderen Rolle infrage kommt.

 

Fast wäre es vergessen worden hinzuzufügen: Der Autor hat sich auch noch, raffiniert wie er ist, hinter einem Pseudonym verschanzt. Dieses hat er durchaus nicht aus Feigheit ange­nommen, weil er etwa glaubte, sich mit seinen Versen in ein unrechtes Licht zu setzen, oder gar aus Furcht vor einer mög­lichen Blamage; all dies liegt schließlich vollkommen fern. Vielmehr hatte er einige Bedenken, es könnte ihm Scha­den dar­aus erwachsen: von denen, die sowieso nie etwas ver­stehen, aber viel Macht haben, oder von denen, die sich be­troffen fühlen bzw. auch von sonstigen Personen, welche eine solche Litanei wohl als unseriöse Machenschaft beurteilen würden.

 

Denn immerhin steckt schon einige Brisanz in dem Dar­gelegten - man denke nur an den Brief im Anhang sowie an die „Gesänge der Dünnbrettbohrer"! - Und unter Berücksichtigung dessen hat der Autor sich schließlich daran erinnert, was manch einem widerfahren ist, der dumm genug war, seinen Namen preiszuge­ben, als er sich mit zu vielen Leuten anlegte. Und das muss doch nicht sein! Wer will es also dem Autor verdenken, wenn er aus bekannten Vorfällen gelernt hat? - Sollte trotz­dem jemand darauf kommen, wer sich hinter dem Pseudonym (man kann es mo­tivieren, wie man will) verbirgt, so wird der Autor selbst­verständlich - und das sei hier bereits angekündigt - alles sofort abstreiten und behaupten, das Manuskript noch niemals vorher gesehen zu haben.

 

Und jetzt, nachdem dies abgeklärt ist, können wir endlich dazu übergehen zu erläutern, wie der Autor sich die Rezeption der Verse denkt. Die gewählte Form, mit ihrer Rolleneintei­lung, ist nämlich  - abgesehen von dem Lustgewinn, der be­reits bei individuellem Lesen verschafft werden dürfte - durchaus dazu geeignet, die Verse als Stück aufzuführen. Ur­sprünglich hatte der Autor sogar an eine Vertonung als Sing­spiel gedacht; daraus ist aber nichts geworden, weil er auch noch anderes zu erledigen hatte, und sich nicht unent­wegt nur hiermit beschäftigen konnte.

 

Aber ein Vorschlag zur Aufführung soll wenigstens doch ge­macht werden: Da hier Ernsthaftes mit Lächerlichem eine sel­tene Einheit bildet, hat sich der Autor gedacht, dass es schön wäre, wenn die Verse von Mitgliedern eines Gremiums aufge­führt werden könnten, welches die genannte Einheit ebenfalls - und geradezu beispielhaft - verkörpert, nämlich von dem Fa­kultätsrat einer Universität. Dies würde - allein durch die Gemeinsamkeit im Sprechen und Agieren - mit Sicherheit dazu beitragen, zerstrittene Fraktionen untereinander zu versöh­nen und vielleicht im gemeinsamen Gelächter am Schluss engher­zige Rivalitäten zu überwinden - Rivalitäten, wie sie wohl überall (so auch in der Politik) naturgemäß in Fakultätsräten zwischen Angehörigen unterschiedlicher und damit widerstre­bender Grup­pen bestehen.

 

Die Aufführung kann man sich im Einzelnen so vorstellen: Der große Schamanenchor ist zusammengesetzt aus Vertre­tern/Vertreterinnen der Sprach- und Literaturwissenschaft. Um einen Verfremdungseffekt zu erreichen und so ein wenig ver­borgen und unentdeckt vor den restlichen Angehörigen des Fakultäts­rats (und sonstigen Zuschauern) ganz hemmungslos seine Rollen spielen zu können, wird ein langer grauer Umhang als Kleidung vorgeschlagen, sowie eine Gesichtsmaske, die das Ge­sicht von oben her bis zur Nase bedeckt. Einige ältere Kol­legen/ Kolleginnen bilden den „alten" Schamanenchor, einige jün­gere den „jungen" Schamanenchor. Der „gemischte" Schamanen­chor setzt sich aus Angehörigen dieser Teilchöre zu­sammen, vereinigt mit Angehörigen aus dem Restchor. Alter, junger und gemischter Schamanenchor sind somit Teilmengen des „großen" Schamanenchors.

 

Diejenigen, welche die Rolle der Solisten einnehmen, treten zum Auf­tritt jeweils ein paar Schritte nach vorn aus dem Chor her­aus; sie heben sich durch unterschiedliche Zeichnung ihrer Ge­sichtsmasken von den übrigen Akteuren ab. Die Rolle des „Dünnbrettbohrers" wird - wie abzusehen - nur schwer zu be­setzen sein, weil sich niemand von den Sprachlern bereiter­klären wird, diese Rolle zu übernehmen. Es wird wohl nötig, einen Kollegen aus der Erziehungs-„Wissenschaft", aus der Sport-­„Wissenschaft", der Theologie oder verwandter Disziplinen für diese Rolle zu gewinnen. Das bietet sich schon deswegen an, da diese Kollegen/Kolleginnen sowieso nicht bemerken dürften, was auf sie zukommt und sie sich vielleicht sogar noch mit der Rolle identifizieren. (Man sollte ihnen, was Sprachlern gelingen dürfte, beibringen, dass es sich hierbei um eine ganz vorteil­hafte Rolle handele).

 

Im Einzelnen über die Aufstellung zu befinden, ist aber der jeweiligen Konstellation im Fakultätsrat zu überlassen und dem Geschick von Kollegen/Kolleginnen, welche die Auffüh­rung in ihrem Kreise anregen werden. Der „Theta-Gott" steht in der Mitte hinter dem Chor auf einem erhöhten Platz. Es handelt sich bei ihm um eine Konstruktion: Er vereinigt in sich den Inbegriff des Allwissenden, der über allem Theo­retisieren steht (eine Art verkörperte Wissenschaftstheo­rie), mit der Vorstellung eines etwas konkreteren Theoriege­bildes, wie es aus gewissen Semantiktheorien nur Eingeweihten bekannt ist. Man nehme den Theta-Gott der Einfachheit halber für eine all­seitige Verstehenskompetenz, also mehr im er­sten Sinne. Als Kleidung empfiehlt sich, den Theta-Gott z.B. durch einen schwarzen Umhang vom Chor abzuheben. Diese Rolle wird sicher­lich jeder gern übernehmen. Bei der Besetzung ist auf eine gewisse Ausstrahlung durch eine würdige, wenn­gleich nicht salbungsvolle, ruhige Stimme zu achten. Ob es sich um die Stimme eines Mannes oder um die einer Frau han­delt, ist letztlich egal. 

 

Die Rolle der Studentin zu übernehmen, wird sich gern eine Vertreterin des Mittelbaus bereit erklären; andernfalls ist hierfür eine Dozentin auszuwählen, die mit dem Feminismus nichts am Hut hat. Die Rolle „Bildungspolitiker" ist eben­falls auch Frauen offen. Bedin­gung ist nur, dass diese Gestalt bei ihrem Auftritt von außer­halb des Chores seitlich hinzu­tritt und sich irgendwie, aber auch wieder nicht zu deutlich, von den anderen Akteuren ab­hebt. Auch die „Literaturwissenschaftler"-Rollen können nach Belieben von Frauen oder Männern übernommen werden. - Die Rolle der „Sprache" schließlich ist ebenfalls von einem Mann oder von einer Frau besetzbar. Bevorzugt werden sollte hier eine Frau, ohne damit irgendwelchen sexistischen Überlegungen das Wort reden zu wollen, welche dem Autor ganz fern liegen. Dann aber muss - schon um des Kontrastes willen - der Theta-Gott auf je­den Fall von einem Mann übernommen werden.

 

Jeder Anfang ist schwer; das weiß der Autor. Der Prolog sollte von einem Band abgespielt oder von einer nicht selbst auftretenden Person gesprochen werden, während Chor und Theta-Gott bereits Aufstellung genommen haben. Geachtet werden muss hier - und nicht nur hier, sondern durchgängig (außer bei selbstdarstellenden Partien gewisser Wissenschaftler) - auf eine ruhige, ausdrucksvolle, aber (wie gesagt) nicht lächerlich salbungsvoll wirkende Vortrags­weise. Wer etwas davon versteht, wird schon wissen, wie die jeweili­gen Rollen geeignet darzustellen sind! Auf­grund der abwechs­lungsreichen Partien wird insgesamt fast von selbst eine Ein­tönigkeit umgangen werden können.

 

Das Gelächter, das an einigen Stellen während der Aufführung, aber mindestens am Schluss aufkommen dürfte, kann nur verei­nen. Ob ein solcher Effekt zustande kommt oder wie sonst rea­giert wird, kann selbstverständlich nicht vorausgesehen wer­den. Derartiges ist schließlich kaum zu planen; und darauf wurde bei der Konzeption auch nicht wesentlich Rücksicht ge­nommen. Es könnte passieren, dass sich Sprach- und Literatur­wissenschaftler (einschließlich der Wissenschaft­ler-„innen") in Tränen aufgelöst in die Arme fallen wie noch nie vorher, und dass mehrere andere Wissenschaftler (einschließlich der „innen") in die Vereinigung einstimmen. Es könnte aber auch passieren, dass alle ergriffen und schweigend nach Beendigung der Auffüh­rung nach Hause gehen.

 

Dies alles ist, wie gesagt, nicht vor­herzusehen. Der Autor würde sich wünschen, dass man sich hin­terher irgendwo in einem Restaurant trifft, die Sache durch­spricht, Kontakte knüpft und sich ernsthaft darum bemüht, seine Wissenschaft besser als zuvor zu vertreten: intern, indem man endlich nicht mehr aus Träg­heit, aufgrund irgendwelcher vermeintlicher Sachzwänge, einge­spielter Betriebsblindheit oder aus purem Zynismus per Gefäl­ligkeitsgutachten jede Mittelmäßigkeit befördert; nach außen, indem man gute Wissenschaft gegen Verdrängung in der Ge­sellschaft energisch verteidigt und Konzepte entwickelt, um sie mit ihren Erfolgen besser in der Öffentlichkeit darzu­stellen. Denn schließlich leben alle Wissenschaften - wie auch immer im Einzelnen vermittelt - von der Sprache; und diese zu erforschen bedarf es der besten Anstrengungen. Der Autor wollte auf eine verfremdete Art und Weise dazu beitra­gen, entsprechende Anstrengungen zu forcieren.

 

 

I. Vorgesang

 

Prolog

 

Mehrmals bedrängt im Traum

Und ebenso im Wachen,

Im Ernst geprägt bisweilen,

Doch öfters noch im Lachen,

Erfasst von manchen selt'nen,

Ganz wilden Sprachideen,

Welche, wie nur zu hoffen,

Die Sprachler recht versteh’n:

 

Verdichtete Erfahrung

Mit einiger Gewalt

In eine Form gebracht

Satirischer Gestalt;

Im Zweifel oft gewandelt,

Erlebtem angepasst,

Wurd’, worum es sich handelt,

Ein paar Mal neu gefasst.

 

Die Namen und die Daten

Sind gänzlich ausgelassen;

Doch wird, wer um sich sieht,

Vertrautes schnell erfassen.

 

Am Ende war dann ein

Panoptikum kreiert,

Darin selbst tief befangen

Auch der es vorgeführt:

 

Durch Kenntnisse geleitet

Von dem, was er gelernt -

Das Wesen des Frustrierten

Ist ihm ganz weit entfernt.

 

Verständnisvoll verfremdet

Zu einem neuen Rahmen

Gibt er, so gut er kann,

Dem Treiben einen Namen -

Mit Mitleid auch für den,

Der gutes Wissen schafft:

 

Das durchaus Positive,

Typisch ins Bild zu setzen,

Und dann das Dumme, Freche,

Gehörig zu verletzen.

 

Bei allem, was zu zeigen

Von diesem wird gewagt,

Sei eines nicht vergessen

Und deutlich auch gesagt:

 

Die Sprachler haben`s schwer,

Was rechtes vorzuzeigen;

Sie stehen etwas abseits

Im öffentlichen Reigen;

 

Viel schlimmer als bei ihnen

Ist das, was ständig läuft

In andren Disziplinen:

Die Wirtschaft, Pädagogik,

Jura, The-o-lo-gie

Und alles drum herum -

Vergessen wird das nie!

 

Doch nicht auch noch auf diese

Felder sich vorgewagt,

Ist hier eine Beschränkung

Auf Sprache angesagt.

 

 

Theta-Gott

 

Ich fürchte, dass man öfters

Zu esoterisch singt,

Und einiges vom Besten

Ganz ungehört verklingt.

 

Du scheinst mir zu belastet

Von seltner Theorie;

Von denen, die es angeht,

Erreichst du manche nie:

 

Den Laien sagt's nicht viel,

Den Schriftgelehrten mehr,

Nur Eingeweihte trifft's -

Und einige gar sehr.

 

 

Großer Schamanenchor

 

Wir werden, zielgerichtet,

Ein wenig Klarheit schaffen,

Durch Kommentierung manchmal,

Das Ausgeführte raffen.

 

Es stimmt: Das, was wir singen,

Ist nicht für viele da;

Doch führen wir das aus,

Was er für alle sah.

 

Wer überhaupt nichts weiß

Und außerdem nichts kann,

Den geht das ganze Sprachspiel

Ja sowieso nichts an!

 

 

II. Sprache und Sprach­wissenschaft

 

 

Sprache

 

Ich selbst, ich bin das Medium,

Mit dem ihr mich begreift,

Und unter euren Händen

Zum Gegenstand gereift.

 

In meiner Vielfalt mich zu erkennen

Bereitet euch ständige Qual;

Wie zwanghaft sich mit mir zu befassen,

Steht für euch nicht zur Wahl.

 

Die Frage nach dem Wie,

Woher, Warum, Wohin,

Erzwingt verschied'ne Lösung,

Verkrampft oft euren Sinn.

 

In viele Facetten bin ich geformt;

Ein paar von euch haben mich genormt:

Als Grammatik und als Wörterbuch

Erscheine ich

Von festem Willen;

Jahrtausendelang

Jedoch leide ich

Unter so manchen Grillen.

 

Ich sag's euch grad heraus,

Damit's jeder begreifen kann:

Ich bin, die ich bin:

Kein Computerprogramm

Und auch kein Organ, -

Nur ein wenig mehr,

Als jeder Affe kann!!

 

Die Semantik ist die Sparte,

Der ich lange harrte;

Was hier geleistet wurde,

Ist manchmal ganz fatal,

Doch honorier’ ich gerne

Die Suche nach dem Gral.

 

Denn schließlich ist Bedeutung

Das Zentrum meiner Macht;

Wer ernsthaft sich dem nähert

Hat durchaus was vollbracht;

Als Sprachler und

Literatur-Betrachter -

Und sonst auch, wer es kann;

Doch fassen mich die ersteren

Am festesten halt an.

 

Oft weich wie eine Qualle,

Unklar in jedem Falle,

Ist der Bedeutung Kern.

Mal allzu vage, mal allzu starr -

So hätten es manche gern!

 

 

 

Theta-Gott

 

Um kritisch dein Zentrum zu beseh'n

Muss ich auch heute noch eingesteh’n:

 

Durch viele Phrasen bist du geschritten,

Von Meta bis Abbild und hin und her;

Man hat dir oft den Grund abgeschnitten

Und glaubhaft gemacht:

Anders läuft nichts mehr!

 

Vereint darum bemühte Stimmen,

Die wollen jeweils trendbedingt

Dich auf Berechenbares trimmen.

 

 

Alter Schamane

 

Mit Pferden und Tigern

Und Junggesellen

Wollten wir so gern

Bedeutungen erhellen:

Merkmale, Seme, Komponenten,

Diese in Atome trennten.

 

Wir spielten immer sehr

Mit dem vertrauten

Beispielgespenster-Heer.

Ihr Nachgebor'nen

Müsst andres versuchen -

Wir aber konnten nicht mehr.

 

 

Nachgeborener

 

Trapeze, Ränge

Und Sem-Kollektionen

Sollten sich für euch lohnen.

Die Scheinprobleme,

Die ihr löstet,

Mussten bald veralten;

Was ihr dafür erhieltet,

blieb euch bis heut erhalten.

 

Seid froh, dass in so manchem

Rückständig gebliebenen Land,

Das einst von euch Vertretene

Noch länger Anklang fand.

 

Alter Schamane

 

Du hast im Kern ja recht,

aber du tust mir weh;

Weißt du einen besseren Weg,

Dann bleibe nicht, dann geh!

 

 

Nachgeborener

 

Und leise singen die alten Schamanen

Und alle stimmen freudig mit ein:

 

 

Alter Schamanenchor

 

Semland - wunderbar!

Ohne dich wäre

Linguistik arm

Und nicht durchführbar.

 

Was du uns gabst - große Idee

Erklärungsstark,

Macht uns von Sprechern

Und ihrem Gefasel

Für immer autark!

 

 

Nachgeborener

 

Doch fremde Stimmen liegen quer

Zu diesen vertrauten Weisen;

Sie kommen von Amerika her

Und woll`n euch andres beweisen:

In Frame- und Vagheitstheorie,

In Proto- und auch Stereotypie

Klingt`s nun so kognitiv

Wie noch nie:

 

 

Neuer Schamanenchor

 

Kognitiv konstituierte

Repräsen-ta-ti-o-nen,

In denen wir begrifflich

Und vorsprachlich wohnen:

Mit ihnen schweben wir

Sprachentlegen

Menschlichem Geist

Und Kategorisieren

Entgegen.

 

Präkonzeptuelle Schemata

Kontinuierlich, endlich

Und analog:

In Containern, Front-Back

Und and’ren Gestalten

Die Darstellung überwog.

 

Primitivnah ist der Status

Der konzeptuellen Struktur;

Genetisch fixiert sind die Konzepte

Und intermodaler Natur:

 

Mentale Modelle,

elaborierte Perzepte,

Verdichtete Relevanz-Dimension -

Geben uns, wenngleich tentativ,

Den Mikrobaustein der Kognition!

 

 

Theta-Gott

 

Sucht nur den mentalen

Fragebogen,

Mit dem ihr im eigenen Kopf

Die Repräsentation habt erlogen:

 

Künstlich ist die Intelligenz

In eurer Projektion!

Und ohne jede Stringenz

Eure sprachferne

Transformation.

 

Einst hattet ihr zwar

Einen strukturalistisch geprägten

Zopf,

Aber ihr ward auch

Sprachbezogen;

Nun aber seid ihr

Verflüchtigt vage,

Mit Vogelbauern

Im Kopf,

Kognitivistisch

Abgehoben.

 

Wohin die Reise mit euch geht

Ist für euch schwer zu erkennen.

Wenn ihr mich jemals fragen solltet,

Will ich gern den Ausweg nennen.

 

 

Gemischter Schamanenchor

 

Doch summa summarum betrachtet

Zum heutigen hohen Stand,

Haben wir durchaus manches

Erreicht und klar auf der Hand:

 

Lasst uns betrachten

Ein umfangreiches Buch;

Es bietet zur Semantik

Vieles - mehr als genug!

 

 

 

Ein Linguist als Literat

 

Authentisch belegbare

Beispielsätze

Hab ich zur Einheit

Für euch verbunden;

Sie können vor allem den

Eingeweihten

Eine Zusammenschau

Bekunden.

 

Für Wissenschaftler der Literatur

Wollt ich`s so versuchen,

Dass sie's nach ihrem Pläsier

Als Literatur verbuchen.

 

Da ihnen die Themen recht entlegen,

Komm ich auch mit der Lösung entgegen:

Nach Zeilen, parallel im Schritt,

Geb ich sie hier im Anhang mit

(vgl. Anhang 1 am Schluss: Dort werden Erläuterungen dazu gemacht, auf welche linguistischen Sachverhalte an den Stellen des Buchs Bezug genommen wird).

 

 

Kohäsionen - Kohärenzen?!

Impressionen zur Se-Mantik

 

Das Einhorn spricht nicht,

Scheint im Garten -

Aber

Hesperus ist Phosphorus

Wie auch:

Die Kühe sind Wiederkäuer,

Ein Rotkehlchen ist ein Vogel,

A Tiger has Stripes,

All Porches have Screens.

           .

Er lacht wie verrückt:

Odysseus cannot swim?

Und

Der gegenwärtige König von Frankreich

Ist (nicht) kahlköpfig?

- Colourless Green Ideas,

Mollies bellen

Und

Gavagai!!

           ..

Zeige mir deinen Ring

Und ich zeige dir meine Kette!?

Aber:

Alle Junggesellen sind unverheiratet:

Sebastian is a bachelor -

Die Stange ist drei Meter hoch,

Doch

Der Tisch ist länger als breit!

           ...

 

Max fährt von Köln

Über die Alpen nach Venedig;

Ich vermute, dass

Auch Konrad verreist ist -

Wie

Jack und Jill.

Und:

Hans ist groß,

Aber Fritz ist klein;

Hans und Otto sind groß;

Wenn Hans einen Esel hat,

Schlägt er ihn,

Wie

Jeder Bauer, der einen Esel hat,

Ihn schlägt.

Auch:

Frank hat aufgehört zu rauchen -

Michel must be the murderer!

            ....

 

Die Katze schläft,

Die Sonne scheint

Und Otto geigt mal wieder.

Die Heizungsrohre sind geplatzt,

Weil`s Frost gegeben hat.

Der Morgenstern, der Abendstern,

Die Venus scheint herüber:

 

Watakúsi wa nihóngo

Ga muzukásii o manánga

= Ich Japanisch

Schwierig Comp erfuhr.

 

 

Theta-Gott

 

Was du zusammenfügst -

Das macht mir Spaß;

Doch der Sache nach

Ist nichts befunden.

 

Wir wollen weiter uns

Darum bemüh’n,

Mit Blick auf das Getriebe,

Das Bild

genauer abzurunden.

 

Ein bisschen Spott muss möglich sein,

Dann bleibt das Bessre noch mehr rein.

 

 

Großer Schamanenchor

 

Über allem stehst du

Großer Theta-Gott!

Nicht jedem, aber vielen,

Gilt mit uns dein Spott.

 

Was wir aus unsrer Warte erkennen,

Das lässt sich nur als Typen benennen:

 

Der eine ist ein Forscher,

Gradlinig, fähig, ernst,

Mal menschlich, mal unnahbar,

Von dem du etwas lernst.

 

Der andre in der Mitte,

ist gar nicht mal so schlecht,

Doch hat er Eigenschaften,

Die sind uns nicht so recht.

 

Ganz am Ende dieser Skala

Wird es furchtbar dünn;

Dort schau’n wir mit Verachtung

Bald genauer hin:

 

Der Dünnbrettbohrer hält

Vieles in der Hand,

Was so mancher Fähige

Jahrelang nicht fand:

 

In Posten gelangt

Zu günstiger Zeit,

Die in dieser Fülle,

Niemals mehr bereit,

Kocht er mit wenig Mühe,

Die allzu dünne Brühe.

 

Den Schüler, den er kriegt,

Den zieht mit eigner Dummheit

Er an wie ein Magnet,

Sowie auch die Studentin,

Die sich an ihn schmiegt.

 

 

 

 

IIa. Gesänge der Wissenschaftler(innen)

 

Gesang des ersten Sprachwissenschaftlers

 

 

In ernsthaftem Bemüh’n

Ein Leben lang schon streb ich

Zur fachlichen Erweiterung hin.

Mit Elan und messerscharfem Sinn

Ziel ich ganz genau

Auf jene Kernprobleme,

Die ich, sei`s auch nach Jahren,

Immer aufs Neue gewinn:

 

Sie auf den Punkt zu bringen,

Die Lösung zu erzwingen,

Befriedigt mich

Vor allen Dingen.

 

Ich springe nicht auf jeden

Modern geputzten Zug;

Man kann mich nicht gut blenden,

Denn ich versteh genug.

 

Doch wenn mich Bess’res einmal

Ganz heftig überzeugt,

Dann habe ich mich schließlich

Immer noch gebeugt.

 

Es gibt, so wie ich`s sehe,

Unendlich viel zu tun,

Da werd' ich wohl noch fünfzig

Bis hundert Jahr nicht ruh’n.

 

Alle großen Reihen

Zeichnen meinen Namen;

Das Höchstniveau besorg ich

In angemess'nem Rahmen.

 

 

Beiträge redigier ich

Am besten ganz allein:

Nur so wird alles richtig

Und auch am schnellsten sein.

 

Die Arbeitsweise and’rer

Halte ich nicht aus;

Veröffentlichtes kenn ich

Bis auf fünf Jahr hinaus.

 

Die Mitarbeiter haben

Durchaus genügend Raum,

Die Sekretärin aber

Des nachts 'nen schlimmen Traum:

Dass sie die Varianten

Des Manuskripts vermischt,

Oder ein Kappa-Lambda

Versehentlich verwischt.

Auch wenn es manchmal krache -

Mir geht es um die Sache!

 

Mein Wohlbefinden ist

Abhängig ganz davon,

Wie ich mit der Arbeit,

Der schweren, voran komm:

Läuft`s schlecht, behand`l ich alle

Wie Hausgesinde nur;

Läuft`s gut, ich sie umarme -

Das ist halt meine Tour!

 

Studenten und Verwaltungswesen

Können mich entnerven;

Nur ganz auf mich zurückgezogen

Bin ich jedem wohlgewogen.

 

Niemals komme ich zur Ruh;

Und wenn ich einen Tag nichts tu,

Muss ich durch Arbeit erst genesen -

Das ist schon immer so gewesen.

 

Privates Leben verachte ich,

Denn das lässt uns verarmen;

Doch bleibt auch mir nicht übrig,

Mich manchmal zu erbarmen.

 

"Normales Leben" ist mir eine Last

Und geistige Armut ist mir verhasst: -

Charakterschwächen allgemein,

Nicht Suff und Geltungssucht allein.

 

 

 

Gemischter Schamanenchor

 

 

Deine Haltung

Und was du verfasst,

Das schätzen wir ja sehr;

Ob du dich umsonst vergeudet hast,

Das fragen wir umso mehr:

 

O hättest du doch

Mit deinem Geist

Ein anderes Feld gewählt!

Dann hätt’ sich zu deinem Können

Auch noch der Ruhm gesellt!

 

Du hättest mit deiner Willenskraft

Alle Krankheiten aus der Welt geschafft,

Ja das Weltbild auf den Kopf gestellt,

Und den genetischen Code längst erhellt!

 

 

Gesang des zweiten Sprachwissenschaftlers

 

Bis zum Platzen aufgeblasen,

Wortgewandt und kreativ

Walz ich jeden Einwand nieder:

Alle andern sind naiv,

Ihre Theorien bieder.

 

Eine große Einheitslösung

Halt ich für alles stets parat;

Gern zaub're ich ihn hervor,

Den Hypothesen-Apparat.

 

Am liebsten höre ich mich sprechen;

Zum Schreiben bleibt wenig Zeit;

Parameter in euren Köpfen

Formalisier’ ich lang und breit.

 

Belehre Kollegen und Studenten

Mit ausgekochten Termini -

Als ob es alle nicht schon wüssten:

Mir widerspricht man nie!

 

Schreibt wer bei mir die Arbeit

In meinem Seminar

(Ich kenne einen jeden,

Studenten sind recht rar),

Dann wünsche ich vor allem,

Dass niemand dünn und seicht,

Von meinen Theoremen

Ganz ernsthaft mal abweicht:

Ein solch selt’nes Ärgernis,

Das endet mit Verriss!

 

Wenn jemand recht und schlecht

Sich gegen mich verteidigt,

Bin ich sofort hernach

Persönlich sehr beleidigt.

 

Wer aber mich umschmeichelt,

Wer meine Arbeit schätzt,

Der kann auf Nachsicht hoffen,

Wenn er - mit kleinem Einwand -

Ein wenig mich verletzt.

 

Insgesamt besehen

Bin ich ganz liberal;

Das Meine nur zu verlangen

Hab ich halt keine Wahl.

 

Wenn man vielleicht mir vorhält,

Ich sei zu arrogant,

Verweis ich auf `nen andren,

Was ich bei diesem fand:

 

Er ist mein Freund gewiss nicht,

Eher schon mein Feind,

Weil er, auf andrer Richtung,

Mein Grundkonzept verneint.

 

Nach vielem Exzellenten,

Was der bereits gemacht,

Ein Lexikon zur Sprache

Er dann herausgebracht:

Die Stichwörter,

Die hat er,

- Mit wem er jetzt liiert -

Aus ein paar am'rikanischen

Büchern rauskopiert.

 

Als man ihn dann in Deutschland

Gehörig kritisiert,

Hat er den Rezensenten

Als Nazi tituliert!

Was jener nur bewies,

Das war ein bisschen Mut -

Mit Nazis und Konsorten

Hat der gar nichts am Hut.

 

Es ist bei Licht besehen

Und aus meiner Sicht,

Ja leider immer noch so,

Dass diese Karte sticht:

Wer deutsch ist und sich nicht

Verbündet mit den Feigen,

Dem kann man heut noch leicht

Die Nazi-Karte zeigen.

 

Auch ich bin schnell zu fassen,

Wenn es mal kritisch sei,

Doch niemals 'rabgelassen

Zu solcher Schweinerei!

 

 

Gemischter Schamanenchor

 

Die Eitelkeit ist deine Schwäche,

Dein Wissen ist ganz groß;

Und dass du Einsicht zeigst,

Das finden wir famos.

 

Wenn doch bei dir nicht alles

So hermetisch wär’ -

Wir schätzten deine Thesen

Noch um vieles mehr!

 

Auch bei kollegialer

Habi-li-ta-ti-on

Versuchst du es des öftern

Mit Selbstdarstellung schon:

Den Kandidaten reinzulegen

Bist du stets zugegen.

Um von der Prüfungslage

Genug zu profitieren,

Kommst du mit tausend Fragen -

Alleine zu brillieren.

 

Und lässt er sich durchaus nicht

Auf deine Richtung trimmen,

Wirst du am Ende immer

Sicher mit contra stimmen.

 

Den du in deiner großen

Klaren Apologie

Ins Spiel hier noch gebracht hast,

Vergessen wir wohl nie:

 

Den Nachbarn nennend,

Als Verwandten,

Hast du

Ganz treffend und gewagt,

(am Beispiel aufgezeigt)

Zu solchen schlimmen Varianten

Das Nötigste bereits gesagt.

 

 

Gesang des Dünnbrettbohrers

 

 

In diesem Linguistenhaus

Sucht ich mir stets die Stellen aus,

Wo dünn genug und morsch das Holz,

Dem Bohrer nie die Spitze schmolz.

Dort setz ich immer wieder an

So gut ich Lust hab und auch kann.

 

Um neunzehnhundertsiebzig rum

Da hat man mich ganz über Nacht

Einfach so zum Prof. gemacht.

 

Das konnt ich gar nicht glauben,

Noch wen'ger meine Frau;

Was das für mich bedeutet,

Wissen wir ganz genau.

 

Die andern mögen fragen

Warum, weshalb und wie? -

Dem einen, dem gelingt`s halt,

Dem andern eben nie!

 

Die Suche nach dem Gral,

Die ist mir ganz egal!

Exaktheit und Artistik

Umbohre ich ganz listig.

 

Hab eine ruhige Kugel geschoben

Und ohne viel Bestreben nach oben

Im Urlaub die Frau und die Kinder bewacht

Und über die Supermacher gelacht:

 

Ein Blick auf deren kaputtes Leben

Vermag mir dauernden Trost zu geben.

Familienglück und Urlaubsspaß

Lass ich mir nicht verderben

Von solchen, die auch nicht anders,

Nur nach Entbehrung, sterben.

 

Wo ich den Bohrer angesetzt,

Da war nicht viel,

Da wird nichts sein,

Da gibt es nicht mal Kerben.

 

Was andere denken

Und formulieren

Ist mir ganz egal;

Und ständig nutzloses Bestreben

Schon immer eine Qual.

 

Hab auch schon ein paar Mal

Was gelungenes geschrieben -

Vor allem jedoch soll`n mich

Die Studenten lieben.

 

Wichtiger als alles

Theorie-Gebahren

Ist mir mit ihnen öfters

Auf eine Demo zu fahren

Und sich bei den Grünen engagieren

Statt wissenschaftlich zu brillieren!

 

Für einige hab ich Gelder

Ganz mühsam losgeschweißt;

Wir sind statt mancher and’rer

Selbst im Lokalblatt meist.

 

Auch wenn, was wir so schaffen,

Euch nicht vom Hocker reißt:

Wir sammeln Mundartwörter,

Auch Wörter aus dem Sport -

Die großen Theorien,

Die schieben wir ganz fort.

 

In Liebe woll`n wir leben

Und in der Harmonie;

Um allzu großes Streben

Beneidet man uns nie.

 

Wir teilen mit dem Anhang

Den Kuchen und den Wein;

Lasst uns in Ruhe leben,

Wir wollen Menschen sein!

 

 

Gemischter Schamanenchor

 

Er faselt von der Sprache

Und der Philosophie;

Davon etwas verstanden

Hat er jedoch noch nie.

 

Die schmale, ach so schwache

Disser-ta-ti-on,

Die er zurechtgeflickt

(Weil bald die Stelle winkte)

Bekam man ziemlich schnell

Auf jedem Flohmarkt schon.

 

Er biedert sich bei Bess’ren

In seinem Fache an,

"Harmonisch" nur mit jenen,

Die er regieren kann.

 

Und jeder kleine Quatsch,

Den er zustandebringt,

Führt dazu, dass stets allen,

Nur Gram und Ärger winkt.

 

Der kleinkarierte Spießer,

Der Forscher sich gar nennt,

Er drangsaliert ja alle,

Die man im Umfeld kennt:

Misshandelt seine Kinder

Und prügelt seine Frau;

Er intrigiert im Dienst

Bis spät in seinem Bau.

Die Frau, geplagt, gepeinigt

Geht sowieso schon stiften;

Die Kinder sind geschädigt,

Sie haben es bald satt;

dass sie ins Abseits driften

Steht auf `nem andern Blatt.

 

 

Schüler des Dünnbrettbohrers

 

Ich schreib dir die Manuskripte,

Ich merze die Fehler aus,

Doch dazu hab’ ich viel Ruhe

In deinem bescheidenen Haus.

 

Ich bohre manchmal rein,

Wo du gebohret hast;

Sollt ich allein was suchen -

Das wär’ mir eine Last.

 

Du plagst mich nicht mit Fragen

Nach Qualifi-ka-ti-on;

Was ich bisher getan hab’,

Das reicht dir lange schon.

 

Die Stelle ist mir sicher

Bis in den Ruhestand;

Ein Glück, dass ich durch dich

Die Lebensstellung fand!

 

Dafür zitier ich dich,

Wie du zitierst auch mich;

So bleiben wir intern

Und haben uns stets gern.

 

 

Eine Studentin des Dünnbrettbohrers

 

Ich strebe nach dem Abschluss

Der dünn genug gelingt;

Ich gehe zu dem Prüfer,

Der mir diesen bringt.

Vielleicht find' sich ein Dummer,

Der meine Beine liebt,

Und nur für meine Schönheit

Mir ein Stipendium gibt?

 

Das dachte ich nicht lange,

Schon bald war es getan -

Er hat sein Soll erfüllt,

Der alte Gockelhahn!

 

Bald steh ich da: Frau Doktor,

Geehrt vom Arbeitsvolk,

Und alle Türen öffnen

Sich, wie ich es gewollt.

 

Hurra, dann bin ich weiter

Und ganz schnell promoviert;

In einem Jahr danach schon,

Sodann habilitiert.

 

Wer mich dann fördert

Muss erkennen,

Was wichtig ist

Und mich ernennen:

Die Stelle schaffen,

Die ich brauch'-

Schließlich hab ich

Ein Kind im Bauch!

 

Das kam mir anfangs

Nicht mal in den Sinn -:

Ich bin nach manchem Suchen

Jetzt Frauenrechtlerin!

 

Feminismus! Frauensprache!

Weg mit der Männerwelt! -

Das ist die Art von Wissenschaft,

Die mir so gut gefällt.

 

Die Ausschreibung,

Die muss jetzt stimmen;

Ich werde drauf

Die Grünen trimmen.

Die Frauenquote ist so klein,

Drum soll es meine sein!

 

"Frauen oder Behinderte

Bevorzugt eingestellt" -

Das hätt' ich nie erwartet,

Um gar nichts in der Welt!

 

Das bringt mich

Endlich an das Ziel,

Das ich erreichen will!

 

Ein Nachgeborener

 

Mein Gott! Zwar kaum zu fassen,

Doch oft genug gescheh’n!

Ich selbst hab mehr're Male

Entsprechendes geseh’n:

"Weibliche Bewerber"

Hat man primär verlangt -

Ich frag mich, ob die andern,

Oder ich selbst erkrankt!

 

Aus einer wilden Laune

Heraus und ungeniert

Hab ich als Scheinbewerbung

Für euch ein ganz gemeines

Exempel statuiert!!

(vgl. Anhang 2 am Ende)

 

Nicht gegen die genannten

Gruppen soll es geht,

Nur freche Protektionen

Hab ich genau besehn!

 

 

Theta-Gott

 

Das stimmt uns furchtbar traurig,

Was hier im Argen liegt;

Wir hoffen, dass trotz allem,

Nicht Übles überwiegt.

 

Was hier alles vorgebracht,

Hätt' ich in dieser Härte

Nicht einmal nur gedacht!

 

Bei allem Wirrwarr,

Bei Abseitigkeiten,

Sollten wir ehrlich bemüht sein,

Kein einseit'ges Bild

Zu bereiten!

 

 

Großer Schamanenchor

 

Gar nicht den ersten

Und auch nicht den zweiten

Wollten wir mit Spott begleiten;

 

Nur das Dumme

An den Seiten,

Was wir ebenfalls

Gefunden,

Woll'n wir,

Auch dem Kerne nach,

Genauer noch

Erkunden:

 

Unausgefüllt, das Leben ohne Sinn,

Wirkt so mancher schwache Geist

Ohne Streben hin.

 

Für integrierte Formung

Fehlt es an dem Ort;

(Und auch den etwas stärk'ren

Reißt's manchmal mit sich fort):

 

Mode, Mache,

Kein einheitliches

Forschungsziel,

Führt nur zur Vereinzelung

In dem ganzen Spiel.

 

Manch Redlicher der hatte,

Verkannt und schlimm bedrängt,

Im Zweifel den Beruf

Längst an den Nagel gehängt.

 

Wer aber satt, dumm, listig,

Beruflich gut verwöhnt, -

Ein solcher noch am schnellsten

Dem Müßiggange frönt:

 

Die meisten, die sind Tennisspieler,

andre mit Münzen befasst -

Man weiß ja, pflichtvergessen,

Wie man sein Geld verprasst:

 

Dreimal im Jahr im Urlaub

Plus Tagung mit Provision,

Schlau jammern über Arbeit -

Da lohnt sich Wissenschaft schon!

 

In allem, was abseits vom Beruf,

Wie Sekretärinnen firm;

Die meiste Zeit im Bett,

Oder am Fernsehschirm.

 

Letz'res lässt sich gut verbinden

Mit sprachbezogenem Tun:

Werbung und auch Sport

Laufen in einem fort.

 

Man handelt mit Antiquitäten

Ist Profisänger sogar -

Sonstige Aktivitäten

Sind sowieso jedem klar.

 

 

 

 

III. Gesänge eingreifender anderer Stimmen

 

IIIa. Politiker(in)

 

 

 

Gesang eines Bildungspolitikers

 

An dieser Stelle muss auch ich

Das Wort hier jetzt ergreifen

Und das vertrackte, sicherlich,

Kapitel einmal streifen:

 

Die Stellen, die wir damals

In besseren Zeiten brachten,

Wir nunmehr fast zur Hälfte

Zu beseit'gen trachten.

Um Wissenschaftler, fähige,

Bewandert weit und breit,

Tut's uns,

Dafür verbürg' ich mich,

Ganz besonders leid!

 

Doch was so manche trieben,

Das war einfach zu toll:

Und diesen, meine Lieben,

Gilt unser ganzer Groll:

 

Man muss es einmal lernen -

Wer die Musik bezahlt ...

Wo sich so mancher „Forscher"

Im Swimmingpoole aalt.

 

Grammatik und auch Wörterbuch -

Das kann ich gut begreifen;

Doch lass ich mich nicht länger noch

Von übrigem einseifen:

 

Das Reden über Werbung,

Wirtschaft, Sport, Politik,

Vereint so mancher doch nur,

Zur Sozial-Kritik!

 

Des öftern unfair angegangen,

Sag ich's hier einmal unbefangen:

Wir haben euch nicht deshalb

Auf sich're Stellen gesetzt,

Damit ihr dann am Ende

Noch gegen uns alle hetzt,

Sicher verschanzt auch hinter

Sozio-, Pragma- und X-Theorie -

Was alles da gelaufen ist,

Vergeben wir euch nie!

 

Bei alter und bei älterer

Deutscher Philo-lo-gie

Da kannten wir,

Das weiß ich noch,

Sowas eigentlich nie.

 

Von neurer Linguistik

Woll'n wir genesen sein;

Da kommt so schnell mir keiner

Mehr in 'ne Stelle rein!

 

Klar, knapp gesagt der Schluss,

Zu dem man kommen muss:

Die neu erfund'ne Richtung,

Wie sie bezeichnet sich,

„Computerlinguistik",

Lässt euch nicht ganz im Stich;

Es steh'n auf unsren Listen:

Computer-Linguisten.

 

Zwar bringt, was sie vertreten,

Oftmals den größten Mist;

Doch dass sie uns verraten,

Nicht zu erwarten ist:

 

Wie Kinder, die autistisch,

Ha'm sie nur eins im Sinn:

Sie formen die Programme,

Bis zur Vernetzung hin;

 

Ein and'rer kommt nur schwer

An ihre Wahnwelt ran,

Weshalb auch ich nicht viel

Dazu bemerken kann.

 

Sprachlich ist schon so mancher

Fast gänzlich restringiert,

Doch lassen wir sie's machen,

Sei's noch so schlimm fingiert;

 

Wir müssen Anschluss halten

An Amerika,

Da ist doch manches weiter

Und noch viel seichter ja.

 

Computer-Technokraten

Spielen stets mit Daten;

Am Schirme seinen Tag verbracht,

Schläft man ganz ruhig in der Nacht.

Gesellschaft und das Leben

Entzieht sich ihrem Streben.

 

Das and're alles ist doch nur

Sprach-Dis-kus-si-on;

Und wem, das frag ich, wem nur

Nützt das denn wohl schon?

Bei jedem, der die Sprache

Ausreichend gut schon kennt,

Man schließlich off'ne Türen

Unnötig neu einrennt!

 

Was uns im Magen liegt

Ist nur:

Die große, die hohe

Lit'ratur!

 

Unter entsprechenden

Sprachbezogenen

Seh’n wir auch hier

Neben ganz Verlogenen:

So manche taube Nuss

Bereitet uns Verdruss!

 

Doch an entsprechender Wissenschaft

führt kein Weg vorbei,

Wie lächerlich im einzelnen

Die Sache mit ihr sei:

 

Die Leute sind oft weltfremd

Und schweben hoch herein;

Deswegen kann ihr Tun uns

Im Grunde schnuppe sein.

So lang sie niemand schaden,

Soll'n sie in Dichtung baden:

 

Da die Gesellschaft

Kaum noch

Die Künstlerschrift

Versteh’n kann,

So melden wir jetzt

Hier doch

Den fälligen

Bedarf an.

 

 

 

Großer Schamanenchor

 

Die besseren von denen,

Die hier mit angetastet,

Sind durch pauschales Vorgeh'n

Beleidigend belastet.

 

Das positive Wissen

Von Sprache zu vermehren

Ist Sinn der Wissenschaft,

Für die so mancher Forscher

Sich ständig aufgerafft.

 

Die Stellen nach Belieben

Zu streichen fällt nicht schwer;

Auswüchse nur zu sehen -

Das überzeugt nicht sehr.

 

In eurer teuren Sparte

Sieht es noch ärger aus;

Wenn wir euch steuern könnten -

Was käm’ denn da heraus!

 

Und jene Wissenschaften,

Die ihr so hoch verehrt,

Und fördert mit Milliarden,

Sind oft das Geld nicht wert:

 

Wer einmal einen Purzelbaum

Im Weltraum hat geschlagen,

Der wird mit eurer Hilfe

Ein Leben lang getragen.

 

Manch einer träufelt täglich

Dem Meerschwein Tropfen rein,

Der and're quält die Äffchen,

Bis sie im Tode schrein;

 

Ein weit'rer einem Hasen

Das Auge aufgeritzt -

Das alles weil 'ne Dame

Sich mit Make up bespritzt.

 

 

Erster Literaturwissenschaftler

 

Politiker - du hast uns

Aus dem Herz gesprochen,

Doch ist die Freude drüber

Durchaus nicht ungebrochen!

 

Wer weiß, ob nicht auch wir

Dir einmal nicht gefallen; -

Und wenn das Geld mal knapp wird,

Kündigt ihr uns allen.

 

Ihr haltet uns als Narren

In fetter, guter Zeit;

Und später soll'n wir harren,

Zum Rausschmiss schnell bereit.

 

Welche lange genug

Die Sprache verhexen

Mit Theorie -

Von denen genügend geachtet

Wurden wir

Leider nie.

 

Doch dass die sich beschränken

Soll'n auf Computer-Spiel

Und Sprachbetrachtung lassen -

Das ist auch uns zu viel!

 

In manchem geht's bei uns zusammen

Durchaus weit und breit;

Doch gibt es bei Verwandtschaft

Schon öfters einen Streit:

 

Vor allem in der Richtung,

Die es mit Texten hat,

Sich mit uns anzulegen,

Haben wir lange satt:

 

Hohe Kunst und Zeitung

Auf eine Stufe erhoben -

Da werden alle Werte

Ganz merklich doch verschoben!

 

Die ganz und gar banale

Kommu-ni-ka-ti-on

Mit Theorie versehen -

Wer will das denn wohl schon!

 

Zudem wird alles zu sehr

Vertrackt formalisiert,

Und mit so vielen Termen

Fragwürdig auffrisiert.

 

Dass and'rerseits nicht alles

So unversöhnlich ist -

Ich hoffe, dass das keiner

Von uns hier ganz vergisst:

 

Was der Kollege vorhin

Zum "Einhorn" so schön fasste,

Zeigt doch Gemeinsamkeit

Und die gleiche Taste:

 

Gleichsam als Probe, bitte ich,

Hört euch das einmal an,

Was ich ganz theoriefrei

Zur Sprache schreiben kann:

 

 

Das ungesprochene Wort

 

Das ungesproch'ne Wort, das Wort

Es balanciert

Auf schmalem Weg,

Nur zaghaft,

Nur im Sinn,

In Ahnung, ohne Willen

Zur eigenen Gewissheit hin.

 

Begreif es nicht schon jetzt!

Weil es dann

Unerhört

Und viel zu früh

Ins Abseits fällt.

 

Lass es im Träumen geh’n -

Woran es sich auch hält!

Und dass

Kein Hauch von Klarheit

Es verstört!

 

 

 

Zweiter Literaturwissenschaftler

 

[alles Wort für Wort authentisch aus verschiedenen literatur-„wissenschaftlichen“ Arbeiten zu Paul Celan, nur anders zusammengefügt!]

 

Poeta vates -

Deine Gedankenfracht hat

Das Absolute der Utopie

In mein Bewusstsein gebracht:

 

Wo Seiendes als Seiendes

Erscheinen kann,

Da setzt emphatisches

Verstehen an.

Die oszillierende Sprachbewegung

Bringt mich aufs Neue in Erregung.

 

Im Ungesagten,

Was Wörter enthalten,

Kannst du

Medusenhauptartiges

Absolutes entfalten.

 

Das wortlose Zeichen,

Das schmerzlich Umkreiste,

Entbirgt sich mimetisch,

Wenn ich es leiste:

Begegnet mein Du deinem lyrischen Ich

Entwirrt sich das Absolute für mich!

 

Dafür, dass deine Wahrheit

Ereignis werden kann,

Nehm’ ich als Ermöglichungsgrund

Dein Sich-Adressieren an.

 

Sprachgrenzen überschreitend

Losgelöst vom

Eigentlich-keits-Grund,

Schleuderst du, was wortlos blieb

In den Deutungs-Horizont.

 

Das Kunstwerk als Entäuß'rung

In die Sphäre seiner Andersheit

Macht mich gar zum Beschreiten

Begriffsloser Erkenntnis bereit.

 

Verheimlichung hinter das Wort!

Unlesbarkeit der Welt!

Das hab' ich oft genug

Anhand der Lyrik erhellt:

 

Plane Deutungsmöglichkeiten

Kann es hier nicht geben:

Die Immanenz von Wirklichkeiten

Beortet mein Sprechen beim Nacherleben.

 

Noch im Nirgendwo ein Maß zu setzen,

Erhebst du dich - alchymischer Prozeß:

Existential-indexiertes Unsagbares

Erläutere ich euch gern

In unendlichem Progress.

 

Der Dichter muss doppelt verstummen

In einer letzten Zweideutigkeit:

Aufsprengung mimetischen Selbstbezugs -

Dazu bin ich stets bereit!

 

 

 

Theta-Gott

 

Als fürchterlich

Und schlimme List

Empfinde ich,

Dass jedes Wort

Sogar authentisch ist!

 

Ein ganz verwandtes Muster

Gleich fern dem Gegenstand,

Ich anfangs der Gesänge

Bei Linguisten fand:

 

Was dort an „Geist" und

Kogni-ti-ons-Psychologie,

Philosophemen, Logik,

Episte-mo-lo-gie,

Sich mit der streng gemeinten

Semantik gern verband,

Ich hier - nur mehr verwässert -

Als Mantik wiederfand.

 

 

 

Zweiter Literaturwissenschaftler

 

O Dichter! Mit dir erheb ich mich

Über alle Gedankenflut;

Was du erahnet hast beim Schreiben,

Das lag auch mir so im Blut.

 

O dürft ich doch von Wolkenhöhn

Mich selbst einmal als Dichter seh’n!

Besser könnt ich's aus einem Guss,

Als welche ich interpretieren muss!

 

Der Sinn, den ich ihnen abgerungen,

Wär’ mir um vieles besser gelungen.

Doch immerhin ererbe ich -

Selbst mitgeschwebt

In transzendentales Sein -

Ein wenig von dir

Einen Heiligenschein.

 

 

Nachgeborener

 

Wortreich umlallst du die Dichtung

Mit deinem Vokabular;

Gibst du ihr die eigene Richtung,

Dann klingt das kaum je wahr.

 

Du willst auch besser wissen

Als jeder Literat,

Was folgert aus Erkenntnis,

Und was der selbst vertrat!

 

Du hörst nicht hin,

Du fragst nicht mehr,

Was andere sich denken;

Du willst allein

Dein Wortgewirr

In seltne Bahn nur lenken.

 

 

Gemischter Schamanenchor

 

Auch über eure Gilde

Sind wir ganz gut im Bilde:

Der Künstler in Armut, im Elend,

Am besten noch verrückt -

Hat euch, wie bied’re Leserschaft,

Am meisten noch entzückt.

 

Auf seine Werke schüttet

Ihr euren Wortschwall aus,

Und baut darauf das eigene,

Ganz gut besuchte Haus:

 

Manch einer, der gibt von sich,

Was klaren Sinns entbehrt,

Und wird noch gar wie jene,

Gesellschaftlich verehrt.

 

Die Linguisten sollen

Durchaus nicht neidisch sein -

So manch ein ganz geschwätziger

Kommt auch ins Fernsehn rein!

 

 

Theta-Gott

 

 

Lieber kurz, lieber jetzt

Zum Ende sei geführt,

Dem vielleicht noch

Ausführung gebührt.

 

Keine Widerrede mehr,

Kein neues Wort

Sei anzufügen hier -

Womöglich immer fort.

 

Wir haben beide Sparten

Gehörig und ganz ausführlich

Vernommen.

Wer hier nur Mängel sieht,

Dem sei nochmals gesagt:

 

Manch and're Disziplin

Hat schlimmere Unarten:

Von irrem Splin

Und dümmlichem Gehabe

Wir viel zu viel

Als Wissenschaft erklärt

Bekommen.

 

 

Schlußchor

 

Alles Vermittelte war unausweichlich,

Anlass zum Widerspruch, den gab es reichlich.

 

Manch Dargestelltes war kaum begreifbar,

Aber dem Kerne nach leider zu sehr wahr.

 

Und es war durchweg - wie immer man`s nimmt,

Für andre Sparten genauso bestimmt!

 

Unmäßig, aber nicht unwürdig kreativ,

Wurde von vielen besungen,

Was sich auf Sprache berief.

 

Einiges sagten wir in Stille,

Das meiste aber schwieg

Und ging seiner Wege,

Launenhaft genormt:

 

Bildnah für alle zu sehen,

Was auch uns selbst verformt.

 

Wir sprachen ein Wort mit,

Ein Wort, einen Satz, einen Text -

Hoffentlich findet ein Strahl hindurch,

Durch alles, was wir enthext:

 

Manches wird unverklungen sein,

Manches als zu schwer befunden,

Doch haben wir gar nicht versucht,

Alles gehörig abzurunden.

 

 

Ein Nachgeborener

 

Ich habe es immer,

Ich habe es immer gewusst:

Plötzlich mildert sich alles,

Wenn ihr es, ins Lot gerückt,

Ganz unverhohlen gesagt habt,

Was keinen so sehr entzückt.

 

Ihr habt gezeigt, was wir,

Verquält in vielen Schranken,

Erfunden haben an Gedanken.

 

 

Anhang 1: Schlüssel zum Verständnis von "Kohäsionen - Kohärenzen";

   

(zeilenweise entsprechend; Bezug: „Semantik/Semantics“. Ein internationales Handbuch - HSK)

 

Formale Semantik

Spurendeutung

Monsterverbot, starre Designatoren, Tautologie

Plural

Prototyp

Conditionals.

    .

Anapher

Quantifikation

Negation/Präsupposition (Russell)

Syn-Sem: Chomsky

Situationssemantik

Übersetzung (Quine)

     ..

koordinative Konjunktion;

Analytizität

Analytizität und Basic Concepts

Dimensionale Adjektive

Vagheit.

     ...

Bewegungsverben;

Einstellungsausdrücke (Doherty)

koordinative Konjunktion;

Vagheit;

Indefiniter

Artikel;

Präsupposition;

Modalität.

   ....

Artikel;

Focus;

Causality;

FregeSemantik.

Nominalse-

MAN-

TIK.

 

 

 

Anhang 2: Ein Bewerbungsschreiben

 

 

Dr. Rainer Maria Allround

In der Tinte 6o

1992 Polemiken 6

 

Sprachwissenschaftliches Seminar

der Universität Frauenlieb

Frauenstr. 6

66 Frauenlieb

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

ich bewerbe mich hiermit um die ausgeschriebene Stelle einer Professur für Linguistik. Dass bei der Besetzung der Stelle nicht Leistungen ausschlaggebend sind, sondern die richtige Geschlechtszugehörigkeit und/oder eine vorhandene Behinderung, habe ich mit Interesse zur Kenntnis genommen.

 

Den Anforderungen, nach denen „Bewerberinnen/Bewerber" mit „weiblichem Geschlecht" oder „Behinderte" bevorzugt berücksichtigt werden, kann ich in besonderer Weise genügen. Auch zeichne ich mich durch ein hohes Maß an „Flexibilität", „Vielseitigkeit" und „besondere Einsatzfreudigkeit" aus, wie Sie es von „dem Bewerber/der Bewerberin" erwarten:

 

Von Natur aus bin ich leider nur pseudohermaphrodit; um den Anforderungen der Stellenausschreibung aber in jeder Hinsicht zu genügen, habe ich mich einem operativen Eingriff unterzogen, wodurch es mir gelungen ist, die gewünschte komplette intersexuelle Ausrichtung in Form eines Hermaphroditismus verus zu erlangen.

 

Es versteht sich von selbst, dass ich nicht nur intersexuell, sondern auch bisexuell bin, was die weiblichen Forscherinnen an Ihrem Institut, welche für die Fassung der Stellenausschreibung sicher federführend sind, wohl nicht stören dürfte. Der richtigen Partei bin ich selbstverständlich beigetreten.

 

Sollte wider Erwarten schließlich doch bei der endgültigen Entscheidung über die Besetzung der Stelle das männliche Geschlecht bevorzugt werden, so bin ich darauf ebenso gut vorbereitet, wie Sie vorstehenden Ausführungen entnehmen können. In der Anlage füge ich außerdem eine Bescheinigung des behandelnden Arztes Prof. Dr. Dr. E. Frankenbein über meine Behinderung bei.

 

Ich bin mit einigen Arbeiten zu „Sexualität und Sprache" hervorgetreten: Meine Magisterarbeit mit dem Titel „Sprache und Sexualität" (1990) habe ich zur Dissertation „Weibliche Linguistik" (1991) ausgebaut. Während meines dreimonatigen Aufenthalts in der Privatklinik von Prof. Dr. Dr. E. Frankenbein konnte ich meine Habilitationsschrift mit dem Thema „Intersexualität und Interlinguistik" (1992) fertigstellen. Darüber hinaus bin ich durch verschiedene Vorträge in autonomen Frauengruppen und gemischtsexuellen Organisationen hervorgetreten, welche in dem Sammelband „Studien zur Weiblichkeit des Sprachsystems" veröffentlicht sind.

 

Ich bitte Sie deshalb darum, mich bei der Stellenbesetzung zu berücksichtigen. Sollten außer den in der Stellenausschreibung genannten Anforderungen weitere hinzukommen, denen ich bisher gegebenenfalls nicht genüge (betreffend Brust- oder Beinbehaarung, Bartwuchs, Haarfarbe, Stimmfärbung etc.), so lassen Sie mich die gewünschte Ausführung bitte umgehend wissen, damit ich entsprechende Korrekturen vornehmen kann.

 

 

Mit freundlichem Gruß

 

?!%&$°'?

Anlage:

 

 

B e s c h e i n i g u n g

 

 

Hiermit wird bescheinigt, dass Frau bzw. Herr Rainer-Maria Allround aufgrund der von mir in meiner Privatklinik vorgenommenen Eingriffe hochgradig behindert ist.

 

An Frau bzw. Herrn Rainer-Maria Allround ist schon immer eine latente paralytische Demenz diagnostiziert worden. Auslöser dafür, dass diese vor Monaten in eine kritische manifeste Phase getreten ist, ist mit Sicherheit das Bestreben von Frau bzw. Herrn Rainer-Maria Allround, den Anforderungen einer Bewerbung in allen Punkten zu genügen.

 

Die Eignung von Frau bzw. Herrn Rainer-Maria Allround für die ausgeschriebene Stelle ist aus medizinischer Sicht unstrittig: Wer lediglich aufgrund eines Stellenangebots an sich derart gravierende Geschlechtsmanipulationen mit entsprechenden erwünschten Nebenwirkungen vornehmen lässt, kann nur verrückt sein.

 

 

 

(Prof. Dr. Dr. E. Frankenbein

   Chirurg und Psychiater)                   

 

 

                                ..........

 

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