Übersicht:

(1) Subkutane Lektionen I: Dioxin für Besserwisser

(2) Subkutane Lektionen II: aischyleisch in aller Munde

(3) Subkutane Lektionen III: furor lexicographicus

(4) Subkutane Lektionen IV: Dame mit Mann

(5) Subkutane Lektionen V: Deutschunterricht

(6) Subkutane Lektionen VI: Duden-Werbung in Sendungen des deutschen Fernsehens

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Subkutane Lektionen I: Dioxin für Besserwisser

 

Werner Wolski

 

(in „Pons Deutschblog“ erschienen, dort unter „Gäste im Deutschblog“)

 

 

Liebe Leserin, lieber Leser,

ich möchte Ihnen lernen was der Begriff Dioxin bedeutet und auch möchte ich Ihnen definieren woher er kommt. Ich weiß ja: Jetzt fangen einige Besserwisser gleich wieder damit an zu sagen: „Das muss doch heißen ‚Sie lehren’“, „Da fehlen ja die Kommata“ etc. Darauf gebe ich aber überhaupt nichts. Ich habe mir in meiner Phantasie vorgestellt, es würde solch ein Besserwisser neben mir sitzen, während ich eine derart unzulängliche Satzäußerung mache. Und dem hätte ich sofort manches zu sagen gehabt. Eine Auswahl davon können Sie hier kostenlos haben. Denn ich halte überhaupt nichts von solchen Besserwissern, wie Sie einer sind, hätte ich dem gesagt. Und das kann ich auch ganz genau begründen! Hier der Disput mit diesem potentiellen Besserwisser:

 

Haben Sie Besserwisserin bzw. Sie Besserwisser (man muss ja da heute auf Gleichstellung achten) etwa etwas dagegen auszusetzen gehabt, als Sie eben lasen (bzw. gelesen haben), dass ich geschrieben habe „Begriff“? Oder haben Sie bemängelt, dass ich das Wort Dioxin nicht kursiv geschrieben habe, wie es korrekterweise sein müsste? Ist Ihnen aufgefallen, dass ich „definieren“ in alberner Weise so verwendet habe wie Udo Jürgens in seinem Titel „Und wenn Du mich nun fragst, wie definierst Du Glück, dann sage ich zurück…“?

 

Nein, das alles haben Sie bestimmt nicht bemängelt. Denn davon haben Sie keine Ahnung, wie ich hätte voraussagen können. Sie protzen nur mit dem Wissen herum, das sich bei Ihnen ausschließlich auf dieses  „Ihnen….lernen“ bezieht, bestenfalls auch noch auf die fehlenden Kommata. Und da habe ich Sie Besserwisser(in) jetzt wirklich erwischt! Denn dass Sie keine Ahnung davon haben, dass man hier Wort oder Ausdruck (geschrieben natürlich in Kursivschrift) sagen müsste, haben Sie gerade bewiesen. Und das ist ein Stand der Unwissenheit bzw. des fortgeschrittenen Analphabetentums, den ich Ihnen ganz übel nehmen muss. Sie gehören ja auch zu denen, die höchstens das Komma kennen, aber die überhaupt nicht wissen, dass es das noch Semikolon gibt. Sie würden – und da bin ich mir sicher – gewiss nicht beanstanden, wenn ich schreiben würde, schriebe bzw. geschrieben hätte „Ich will Deutsch lernen, deshalb lese ich das hier“. Aber das mit dem Ausdruck lernen plus Akkusativ – das war Ihnen klar. Ja, das haben Sie von Ihren sonst unbedarften Lehrern/Lehrerinnen gerade noch mitbekommen. Doch alles andere, was ich hier anspreche, ist Ihnen natürlich total fremd!

 

Ich muss jetzt noch einen Schritt weiter gehen: Sie, lieber Besserwisser/liebe Besserwisserin, hätten ja  nicht einmal etwas dagegen, wenn ich neben Dioxin z.B. auch Asbest stellen und beispielsweise sagen (bzw. hier: schreiben) würde: „Diese Worte kennen viele nicht.“ Da würde es mir – bei Ihnen, das ist mir klar – überhaupt nichts nützen, meiner Gewohnheit gemäß auf Goethes „Faust“ hinzuweisen: Steht dort nicht aus gutem Grunde „Der Worte sind genug gewechselt“, wo es sich in jenem Zusammenhang doch um Sätze bzw. Textteile handelt? Der hat ja nicht gesagt: „Der Wörter sind genug gewechselt“! – Aber Sie hätten nichts dagegen gehabt; da bin ich mir sicher. Und warum: Weil Sie überhaupt keine Ahnung haben! Auch wenn dieser Goethe statt „Worte“ gesagt hätte „Begriffe“, hätten Sie, lieber Besserwisser/liebe Besserwisserin, nicht widersprochen. Sie würden natürlich „wissen“ (Anführungszeichen hier von mir distanzierend gesetzt), dass Goethe ein großer Dichter war, der etwa 1980 gestorben ist (vorher lebten ja die Dinosaurier bzw. Gott hat damals die Welt erschaffen) und irgendwie mit Schiller liiert war. Aber Sie hätten kein Verständnis dafür, dass ich eben erwähnt habe „Faust“. Ja, warum wohl „Faust“? - Fragen Sie mich doch bitte nicht, warum ich nicht geschrieben habe „Goethes Hand“! Denn dann fällt mir wirklich nichts mehr ein!   

 

Eigentlich ist es mir ziemlich egal, ob Sie weiterhin glauben, es ginge hier um den „Begriff“ (Anführungszeichen distanzierend bzw. zitierend hier vertretbar) Dioxin bzw. die „Worte“ (auch hier so mit Anführungszeichen) Dioxin und Asbest. Denn damit befinden Sie sich in guter Gesellschaft: Nur im Kindergarten erzählen die Kindergärtnerinnen davon, dass die Kleinen, welche von ihnen betreut werden, gerade „Begriffe“ aus Buchstabennudeln zusammengesetzt haben. Und die können „Begriffe“ sogar essen! – Ich kann das nicht. Und das kann auch kein irgendwie vernünftiger Sprachwissenschaftler oder Psychologe. Denn Begriffe (hier geht es um Begriffe, nicht aber um das Wort/den Ausdruck Begriff , weshalb der Ausdruck in dieser Verwendung nicht kursiv ausgezeichnet ist) sind kognitive Abstraktionen. Mit ihnen wird das Minimum an Eigenschaften oder Merkmalen bezeichnet, mit denen sich jemand auf dieses oder jenes in der Welt korrekt beziehen kann. Aber ich glaube, derartige Erklärungen (die ich hier nicht weitertreiben will) würden Sie ohnehin nicht verstehen. Dafür reicht es bei Ihnen halt nicht. Ich frage mich ohnehin, warum ich mich hier sprachlich errege, da Ihr Kopf sowieso tabula rasa ist. Und fragen Sie bitte nicht, was damit schon wieder gemeint ist! - Auch das mit den „Worten“ oder das mit den erwähnten bzw. objektsprachlich verwendeten Ausdrücken wäre Ihnen derart fremd, dass meine Erläuterungen dazu ins Leere schießen müssten bzw. - anders ausgedrückt - vergebliche Liebesmüh wären, also ein Versuch am untauglichen Objekt. Gleiches gilt selbstverständlich bzw. erst recht auch für mögliche Kommentare zu dem Problem, wann man sinnvoll von einer „Definition“ bzw. vom „Definieren“ spricht. (Man „spricht“ [an dieser Stelle nur zitierend in Anführungszeichen] hier übrigens über einen Ausdruck, weshalb der in Anführungszeichen stehen muss). Denn das machen auch ganz andere Leute als Sie, die sich „Wissenschaftler(innen)“ nennen, regelmäßig in absurder Weise verkehrt, weil ihnen schlicht wesentliche wissenschaftstheoretische Grundlagenkenntnisse fehlen. - Und das mit dem Semikolon, das lassen wir am besten ganz! Diesbezüglich ist die Analphabetisierung derart weit fortgeschritten, dass man auf Schritt und Tritt in allen publizierten Texten (in Wörterbüchern, in Zeitungen/Zeitschriften, im Internet etc.) eigentlich fast nur Unzulängliches findet. Was würde es bringen, wenn ich erläutern würde (siehe den Beispielsatz), dass man in „Ich will Deutsch lernen, deshalb lese ich das hier“ das Semikolon braucht, dass man stattdessen auch einen Punkt setzen könnte – aber niemals das Komma? Denn dann müsste man schon schreiben „Ich will Deutsch lernen, weshalb ich das lese“! - 

 

Sie fragen sich ständig, und das kann ich gut nachvollziehen, weshalb ich eigentlich das Wort/den Ausdruck Dioxin (Lektion schon gelernt?) derart in den Vordergrund gestellt habe, wie hier geschehen. Anlass dafür ist einfach: Vor Jahren gab es einen Dioxin-Skandal, der im Fernsehen kommentiert worden ist. Das Hintergrundbild zu dem Bericht habe ich noch in guter Erinnerung. Denn dort stand in großer Schrift und farbig unterlegt das Wort in dieser Trennung: „Di-ox-in“. Was ist nicht verstehe, ist folgendes: Warum hat man nicht einen der Experten hinzugezogen, wie man das sonst bei jeder belanglosen Angelegenheit tut? Denn der hätte klargestellt: „Den Begriff Dioxin trennt man so, wie dies gezeigt worden ist.“ - Er hätte das mit der neuen Rechtschreibung begründet und eine „wissenschaftliche Erklärung zu den Bestandteilen des Begriffs“ (vgl. die Lektion dazu oben) hinzugefügt, nämlich dass „di“ eine lateinische Vorsilbe ist, wie man sie bekanntlich auch in der Version „idi“ z.B. in „Idiotie“ findet. (Ich behandele die Ausdrücke hier einmal als Zitat-Teile und setze sie in „…“; siehe die Lektion dazu oben). Dann hätte der Experte gesagt: „Der Begriff bedeutet ‚zwei’.“ (Ich mache die einfachen Anführungszeichen für die Bedeutungsangabe hier korrekt; der Experte würde natürlich nichts damit anzufangen wissen). In dem Zusammenhang wäre er vermutlich durchaus auf den wissenschaftlichen Befund eingegangen, dass es sich bei „di“ sprachgeschichtlich auch um eine verkürzte Form des Artikels „die“ handeln könne. Die anschließende Erklärung zur Wortherkunft hätten sich manche Leute sicherlich gern notiert, um mit diesem Wissen z.B. ihren Lehrer/ihre Lehrerin beeindrucken zu können. Nur dürften dieser Absicht leider oft mangelnde Schreibfertigkeiten im Wege gestanden haben. (Aber auf ihr iPod hätten sie die Angaben dazu problemlos aufnehmen können). Denn klar sein sollte: Das „ox“ leitet sich zweifelsohne von „Ochse“ ab, wie der Experte kompetent erläutert hätte, sodass wir bis jetzt haben: „zwei Ochsen“. (Die neue Schreibung mit „ch“ sollte dabei nicht stören; auch dies wäre sicherlich umsichtig von ihm dargestellt worden). „Und jetzt kommen wir“, so hätte der Experte bestimmt des Weiteren gesagt, „zum Schluss, nämlich zur Endung“. Dazu hätte er wissenschaftlich ausgeführt: „Der Begriff ‚in’ bezeichnet die weibliche Form, wie in ‚Idiotin’ – im Unterschied zu ‚der Idiot’. Dioxin bedeutet also eigentlich ‚Die Ochsin’.“ – Ich bin sicher, liebe Besserwisserin/lieber Besserwisser, dass Sie mir nach diesen Lektionen jetzt vorhalten werden, ich sei ein Zyniker! Darauf kann ich nur mit Alberto Sordi antworten: „Zynismus entsteht, wenn ein heißes Gefühl kalt geduscht wird.“          

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Subkutane Lektionen II: aischyleisch in aller Munde

 

Werner Wolski

 

Das Wort aischyleisch ¹ (wie auch Aischylos) wird bekanntlich heute weithin von gebildeten Jugendlichen verwendet, die auf zehn Zeilen nicht mehr als vielleicht lediglich bis zu zwanzig Fehler machen (Rechtschreibfehler, Interpunktionsfehler, sowie grammatische und stilistische), während sich in den meisten veröffentlichten Texten viel mehr finden, und die das Wort auch im Rahmen von gehobenen Partygesprächen sowie auf Mallorca und Gran Canaria sehr oft einsetzen. Dies haben aktuelle wissenschaftliche Untersuchungen ergeben, die im gesamten Bundesgebiet im Rahmen eines von der Bundesregierung umfassend geförderten Projekts (Titel-Motto: „Jeder kann alles, wenn nur das Niveau entsprechend gesenkt wird“) durchgeführt worden sind. Demnach ist das Wort/der Ausdruck fast ebenso häufig wie die Artikel der, die, und das. Aber auch z.B. Epitheton und Epos sind im Alltagsleben sehr gebräuchlich, wobei man sich in den Duden-Wörterbüchern (ganz im Unterschied - jedenfalls in den vom Verf. völlig neu bearbeiteten - Pons-Wörterbüchern) ausschließlich an dem gängigen Sprachgebrauch orientiert, also für Epitheton ein langes „i“ als Betonungsangabe (Angabe zur Vokalquantität) macht, für Epos ein langes „E“.

 

In ähnlicher Weise (und übrigens ebenso korrekt) wird im Duden-online, in völliger Übereinstimmung mit dem tatsächlichen Sprachgebrauch von den dortigen - sich durch äußerste Kompetenz in den alten Sprachen auszeichnenden Experten/Expertinnen - als Plural von Rarissimum (‚seltenes Exemplar’) verzeichnet: „Rarissimuma“ (und nicht etwa der veraltete Plural „Rarissima“, der sonst fälschlich immer für korrekt gehalten wird). Und noch ein wunderschönes Beispiel aus dem Duden-Wörterbuch: der „locus amoenus“ mit Länge auf dem „o“(der Topos ‚lieblicher Ort’). Während uns früher im Lateinunterricht und während des Lateinstudiums „locus“ mit Länge auf „o“ (= ‚Klo’) geradezu als Musterbeispiel für Verblödung beigebracht worden ist und man sich bei „locus“ (aus veralbertem Latein) ähnlich wie im Englischunterricht an Beispielen wie „to let the church in the village“ (für ‚die Kirche im Dorf lassen’) vor Lachen krümmte, präsentiert man das heute den gebildeten Jugendlichen auf Mallorca und anderswo in vollem Ernst als dem gängigen Sprachgebrauch entsprechend. Dies ist nur zu begrüßen. Warum das ganze elitäre Gelächter, wenn man doch die Klientel der Unbedarftheit bereits in den eigenen Reihen als Verfasser(innen) für Artikel zu altsprachigen Lemmata hat, und sich ansonsten bei jeder Neuauflage mit der Registrierung zahlreicher Anglizismen brüstet?

 

Gänzlich inkonsequent allerdings richtet man sich für andere, ebenfalls aus dem Griechischen stammende, Wörter (sog. Gräzismen; nach veralteter Auffassung im Falle von Rarissimum: aus dem Lateinischen) leider aber nicht an dem tatsächlichen Sprachgebrauch aus - in den Pons-Wörterbüchern aufgrund einer unerträglich elitären Haltung des Bearbeiters diesbezüglich jedenfalls sowieso nicht. So wird von Rundfunk- und Fernsehsprecherinnen weithin mittlerweile Homer mit langem „o“ ausgesprochen (die Beleglage dazu ist geradezu überwältigend). Sogar der geschätzte Jörg Pilawa bevorzugt diese korrekte Betonung, wie z.B. aus der Sendung „Der Super-Champion“ (25.08.2012, 21:35 Uhr) hervorgeht. Dort stellte er die Frage: „Wer ist aus Homers [korrekt mit langem „o“] Epen Ilias und Odyssee als König von Ithaka bekannt?“. (P.S.: Die Zuschauer haben sich sicher gefragt: Was ist denn „Epen“, „Ilias“, „Odyssee“, oder „Ithaka“? Ist das etwas Sexuelles, oder kommt das von Lady Gaga? Und wie spricht man das aus?). Es dürfte also nur eine Frage der Zeit sein, wann eine Ausrichtung am tatsächlichen Sprachgebrauch in den Duden-Wörterbüchern auch diesbezüglich erfolgt. Aber auch andere brillieren mit Kenntnissen in den alten Sprachen – obwohl entsprechende aktuelle Neuerungen eher für künftige Fachwörterbücher von Belang sein dürften: So weist der gleichfalls geschätzte Günther Jauch („Wer wird Millionär?“, vom 12.12.2011, 20:30 Uhr) zurecht darauf hin: Magen heißt auf Griechisch gáster (korrekt mit kurzem „a“; bislang meinte man immer: kurzes „a“ und langes „e“); oder er spricht Ranula mit langem „u“ aus, wo man doch bisher Vokalqualität mit Länge auf dem „a“ angenommen hat („Einer wird gewinnen“, vom 06.01.2012). Ähnlich stellt der auch sonst sehr sprachgewandte Bern Stelter („NRW-Quiz“ vom 19.12.12) eine ganz wesentliche Neuerung vor, indem er equus asinus gleich an zwei Stellen so betont, wie dies mit dem heute üblichen Sprachgebrauch übereinstimmt, nämlich mit langem „E“ auf  equus, und gleichfalls langem „i“ auf asinus. Auch wenn dies vergreisten Altphilologen ein Graus sein mag - : Man hört das in jeder Disko und sogar auf Mallorca am Ballermann nur so, und nicht anders! Hier müsste der Duden endlich tätig werden und dem gängigen Sprachgebrauch folgen - getreu dem Motto: „Wir machen die Sprache nicht; [P.S.: Ich habe mir erlaubt, hier gemäß meiner völlig veralteten elitären Auffassung ein Semikolon zu setzen, das man heute überhaupt nicht mehr kennt] wir bilden sie objektiv ab“ (Sprecherin der Duden-Redaktion zur Auszeichnung „Sprachpanscher 2013“ durch den „Verein Deutsche Sprache“; ZDF-Text vom 02.09.2013).

 

Um aber auf aischyleisch zurückzukommen -: Das Wort soll ein Kompositum sein und sich herleiten aus dem von gebildeten Jugendlichen als „äsch“ und „laisch“ ausgesprochenen Wörtern echt und leicht. Dieser durchaus plausiblen Deutung gemäß würde das Wort bedeuten: ‚echt leicht’. Das „y“ zwischen den beiden Bestandteilen erklärt man gewöhnlich damit, dass es eine verkürzte Form aus Yps ist. Für diese Erklärung spricht, dass „leisch“ (also der zweite Bestandteil) aus aischyleisch genauso wie z.B. in österreichisch leischen ausgesprochen wird. Allerdings widersprechen dieser gängigen Herleitung ganz aktuelle Forschungsergebnisse: Kaum bekannt sein dürfte, dass der Ausdruck offenbar auf die Wildecker Herzbuben zurückgeht! Diese sind seinerzeit in der Gemeinde namens Aeschi, gelegen am Thurnersee im Berger Oberland, aufgetreten, und hatten für einen Songtitel ursprünglich formuliert: „Aeschilein, du musst net traurig sein“(geschrieben auch Äschilein). Später ist dann für die veröffentlichte Fassung der Ausdruck Herzilein gewählt worden. Wie es zu der Form aischyleisch gekommen ist, will ich hier nicht ausführen.

 

Aber einmal elitär philologisch und ernsthaft -: In der deutschsprachigen Altphilologie gibt es übrigens traditionell unterschiedliche Auffassungen und sogar Kontroversen, was die Schreibung von Aischylos bzw. aischyleisch betrifft. Da die altgriechische Literatur ursprünglich über das Lateinische vermittelt worden ist, findet sich ebenso häufig auch die latinisierte Form Äschylus bzw. äschyleisch, wobei in älteren altphilologischen Arbeiten auch die Schreibung Aeschylus bzw. aeschyleisch vorkommt. In heutigen Arbeiten zum Altgriechischen wird im Rahmen wissenschaftlicher Untersuchungen zu diesem Tragödiendichter (525 v. Chr. bis 456 v. Chr.) meist mit Aischylos eng an die Originalschreibung angeschlossen (Ασχύλος, dort aber mit Wortakzent auf vorletzter Silbe, also mit Pänultima-Betonung). Allerdings schreibt z.B. N. Wecklein (1872) Aeschylus (vgl. „Studien zu Aeschylus“). Dort findet sich zudem das von dem Eigennamen abgeleitete Adjektiv in der Form aeschylisch (mit Länge auf „y“). Dass es Kontroversen um die vermeintlich „korrekte“ Schreibung gegeben hat, zeigt eine Arbeit aus dem Jahre 1948: In seinen Übersetzungen und Interpretationen zu „Die Perser“, „Prometheus“ und „Agamemnon“ wählt der Autor, Wilhelm Leyhausen, die Schreibung Aischylos. In einer Fußnote geht er scharf mit anderen Schreibungen ins Gericht (dort Seite 8): Man solle sich „endlich darüber einigen, diesen Namen so zu schreiben und auszusprechen [nämlich „Aischylos]“. Er sehe „die römische Aussprache ‚Aeschylus’“ nicht ein. Als „barbarisch“ bezeichnet er „die Kombination ‚Aeschylos’“. Anschließend weist er mit Nachdruck darauf hin: „Bei der Aussprache des richtigen Namens Aischylos ist das s von dem ch zu trennen“. 

 

Diesen Hinweis auf die Aussprache sollte man – gerade angesichts des heutigen Bildungsniveaus – übrigens unbedingt beherzigen, da vor allem im Hinblick auf Ausdrücke aus dem Altgriechischen, wie ebenso aus dem Lateinischen, in Wörterbüchern (ausgenommen zum Glück die Pons-Wörterbücher) die übelsten Fehler festzustellen sind, was die Ausspracheangaben betrifft. Die Schreibung als Aischylos bzw. Äschylus stellt dem gegenüber ein Randproblem dar. Anders ausgedrückt heißt das: Solche Ausdrücke sollten als Lemmazeichen in Wörterbüchern obligatorisch Angaben zur Vokalquantität erhalten – und zwar über den Wortakzent hinaus ggf. vollständige Ausspracheangaben. Dazu wären allerdings einigermaßen hinreichende Kenntnisse dieser alten Sprachen vorauszusetzen. Oder will man im Falle offenkundig falscher Angaben tatsächlich mit der Ausrede kommen, man orientiere sich hierfür am „aktuellen Sprachgebrauch“? - Und schließlich: In den romanischen Sprachen (aber auch im Russischen, hier transkribiert: Ėschil) beispielsweise kennt man vergleichbare Verwicklungen hinsichtlich der Schreibung nicht. So heißt der antike Autor im Französischen Eschyle, im Spanischen Esquilo, und im Rumänischen Eschil (wobei „s“ und „c“ getrennt ausgesprochen werden, dabei das „c“ wie „k“).    

 

¹ notwendige Anmerkung: Konsequent und in Übereinstimmung mit meinen „Hinweisen zur Gestaltung schriftlicher Arbeiten“ sowie den Ausführungen aus „Subkutane Lektionen I“ (siehe „Pons Deutschblog“) wird – entgegen allenthalben gegebener Unkenntnis, was  Textauszeichnungen, hier in Kursivschrift, angeht – folgendermaßen verfahren: Wenn ein sprachlicher Ausdruck qua Ausdruck thematisch gemacht wird (man diesen also nicht objektsprachlich verwendet), erhält entsprechender Ausdruck eine Kursivauszeichnung, und steht somit nicht fälschlicherweise in Anführungszeichen. Demgegenüber sind Titel (von Arbeiten, oder sonstige Titel) in Anführungszeichen gesetzt. Abgewichen von der Kursivauszeichnung wird – was sich rechtfertigen lässt – in drei Fällen: (a) Sehr kurze Einheiten, insbesondere einzelne Buchstaben, stehen entgegen der korrekten Regelung in Anführungszeichen, da diese kurzen Partien sonst nicht oder kaum wahrgenommen werden könnten (vgl. „s“ oder „c“; vgl. dem gegenüber das Zitat oben aus Leyhausen 1948, in dem sich derartige Einzelbuchstaben im Text verlieren, die zudem nicht einmal kursiv ausgezeichnet sind). (b) Ebenso lässt sich rechtfertigen, dass gelegentlich eine ironische Distanz per Setzung in Anführungszeichen zum Ausdruck gebracht wird (vgl. z.B. „äsch“ und „laisch“ oben). (c) Sofern ein Ausdruck als Zitat betrachtet wird, lässt sich ebenfalls die Setzung in Anführungszeichen rechtfertigen (vgl. oben „Rarissimuma“ aus dem Duden-Wörterbuch). (d) Einfache Anführungszeichen stehen erstens nur für Bedeutungsangaben. Zweitens werden mit ihnen doppelte Anführungszeichen aus einer zitierten Passage versehen.

 

W.W.

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Subkutane Lektionen III

 

Werner Wolski

 

 

furor lexicographicus m.; o. Pl.>

 

auf die Lexikographie und Metalexikographie gerichtete Besessenheit

 

[Hinweis zum Verständnis: Beitrag ist im Scherz dem Stil der Wörterbuchartikel aus „Wörterbuch zur Lexikographie und Wörterbuchforschung“ [WLWF] (Erster Band. Berlin. New York: Walter de Gruyter 2010) nachgebildet; hinter „Andreas Cyffcanus“ verbirgt sich übrigens der Projektleiter bei Pons; „Vigandius“ bezieht sich auf den weltberühmten Metalexikographen H. E. Wiegend, der Lehrer von Volscius war]

 

· Als furor lexicographicus wird eine bisher offenbar in der Forschung noch nicht behandelte Erscheinungsform der Ekstase, der Manie bzw. auch der Besessenheit bezeichnet, die ausschließlich auf die Lexikographie sowie die Metalexikographie bezogen ist. Geprägt worden ist der Ausdruck von dem bekannten Philologen und lexikophilen Dichter sowie Wörterbuchmacher der Pons’schen Schule, Andreas Cyffcanus dem Jüngeren (bezeichnet auch als „der Gelassene“, da ihm selbst ein furor lexicographicus gewiss nicht nachgesagt werden kann). Es handelt sich dabei um eine Analogiebildung in Anlehnung an die wenigen ähnlich zusammengesetzten Prägungen mit dem Ausdruck furor, die nur in gebildeten Kreisen (und auch dort nur von sehr wenigen philologisch Geschulten) auszugsweise als bekannt gelten können (z.B. als „furor poeticus“).

 

Auf eine etwas randständige und weithin kaum verstandene Prägung ist zuletzt im Rahmen der sog. „Sexismus-Debatte“ rund um den FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle in der Presse aufmerksam gemacht worden. Dessen, als „sexistisch“ bewertete, Äußerungen hatten von verschiedenen Seiten zu heftigen Reaktionen geführt, worauf der Bundespräsident J. Gauck in einem Spiegel-Interview diese Anschlussdebatte um den Sexismus als „Tugendfuror“ kritisierte. Nunmehr wurde er seinerseits dahingehend mit Kritik bedacht, er bringe „erniedrigende, verletzende oder traumatisierende Erlebnisse in Verbindung mit dem Begriff ‚Furie’.“ Denn dieser „Begriff werde abwertend verwendet, um die Wut von Frauen lächerlich zu machen und als Überemotionalität zu deklassieren“ (Spiegel vom 07.03.2013).

 

Obwohl damit wesentliche Momente dessen durchaus erkannt werden, was der Ausdruck Furor (lat. furor) beinhalten kann, lässt die sprachliche Bezugnahme darauf erhebliche sprachliche Unbedarftheit (im Sinne einer unscheinbaren, von Volscius als „alltäglicher Analphabetismus“ bezeichneten, Art des Analphabetismus) insofern erkennen, als hier in völlig unqualifizierter Weise davon ausgegangen wird, es handele sich um einen „Begriff“, und weil zusätzlich behauptet wird, es sei möglich, einen „Begriff“ zu „verwenden“ („verwenden“ kann man nur einen Ausdruck/ein Wort; vgl. dazu den Artikel von W.W. in vorliegendem Wörterbuch, dem WLWF). Dies wiederum macht darauf aufmerksam, dass die in die sog. „Sexismus-Debatte“ involvierten Personenkreise, einschließlich der Berichterstatter(innen) in der Presse, die sich auf diese Debatte beziehen, als Rezipienten bzw. Rezipientinnen nachfolgender Ausführungen von vornherein ausscheiden, da es ihnen offenkundig an den nötigen kognitiven Voraussetzungen dafür fehlt, diese nach- bzw. mitvollziehen zu können. 

 

In Blase/Reeb 1909 („Lateinisch-Deutsches Schulwörterbuch“, 8. Aufl. Leipzig. Berlin 1909) werden für „furor, oris, m.“ zwei Bedeutungen angeführt, nämlich „1) Wut, Raserei, blinde Leidenschaft“, sowie „2) Verzückung, schwärmerische Begeisterung eines Dichters/Wahrsagers“. Zu der zweiten Bedeutung findet sich dort die Beispielangabe „sine furore magnus poeta esse noch potest“ (dt: ‚Ohne Verzückung kann jemand kein großer Dichter sein’). Damit ist zugleich ein Bezug zum Dichterischen gegeben, der offenbar der Prägung des Ausdrucks furor lexicographicus durch Cyffcanus den Jüngeren zugrunde gelegen hat (in dessen apokrypher Schrift „De poesia“, die nur als Fragment vorliegt). Bemerkenswerterweise lässt sich der Ausdruck bislang ausschließlich auf nur zwei Personen beziehen, denen nachgesagt wird, sie seien in besonderer Weise der lexikographischen Praxis sowie gleichermaßen der darauf gerichteten theoretischen Beschäftigung (Metalexikographie) verpflichtet bzw. dieser zugetan. In ihnen findet sich zugleich der furor lexicographicus in den beiden bisher zu unterscheidenden Ausprägungsformen repräsentiert. Dies ist (a) der sog. furor lexicographicus excessivus, und (b) der furor lexicographicus interruptus. Ersterer wird im Hinblick auf seine personelle Bezogenheit auf Herbertus SerenissimusVigandius auch als furor lexicographicus vigandius bzw. purus bezeichnet, letzterer (in seiner Bezogenheit auf Vernerus Volscius) auch als furor lexicographicus volscius oder vagabundus. Diese Formen des Furor stehen jeweils in komplexen Beziehungen zu tradierten, noch zu erläuternden, Formen des Furor (bzw. lat. furor), wie sie seit der Antike überliefert sind: Bei dem so bezeichneten furor lexicographicus excessivus (FLE) handelt es sich um eine äußerst markante Form des furor lexicographicus, die in einer ausschließlichen Bezogenheit auf die Lexikographie/Metalexikographie in Erscheinung tritt. Der damit verbundene Grad der Konzentration auf ein einziges Interessengebiet nimmt beim FLE durchaus bedenkliche Formen insofern an, als mit ihm unbedingte Selbstbezogenheit einhergeht und nicht nur die Gefahr des Realitätsverlusts im Rahmen damit verbundener sprachkreativer terminologischer Tätigkeiten besteht, sondern permanent diesbezügliche Grenzen des Zumutbaren überschritten werden.

 

Der Untertyp des so bezeichneten furor lexicographicus interruptus (FLI) ist zwar durchaus nicht strikt von dem FLE abgrenzbar, zeichnet sich gleichwohl allerdings dadurch aus, dass eine permanente und ausschließliche Ausrichtung auf die Lexikographie nicht gegeben ist, sondern dass diese immer wieder von längeren Phasen durch andersartige Tätigkeiten unterbrochen wird. Ein wesentlicher weiterer Unterschied besteht darin, dass diejenige Person, der bislang in der Forschung einzig die Erscheinungsform des FLE zugeordnet werden kann (der Vigandius-Typus), sich der Lexikographie bzw. ebenso - und vor allem - der Metalexikographie sozusagen „ohne Not“ verschrieben hat, ohne dass dafür eine Veranlassung äußerlicher Art vorliegen würde, somit ausschließlich einem inneren Trieb bzw. entsprechender Veranlagung folgend. Dem gegenüber ist ein wesentliches Merkmal des FLI, wie dieses bislang einzig beim Volscinus-Typus hervortritt, dass hier ganz wesentlich äußerliche (finanzielle) Gegebenheiten/Bedingungen dafür verantwortlich sind, sich dem mit FLI angesprochenen Gegenstand zu widmen, nämlich Zusatzeinkünfte sicherzustellen. Dies wiederum ist insofern nicht als ehrenrührig anzusehen, als mehrere namhafte Persönlichkeiten aus der Kunst ihre Werke stets ausschließlich aus gleicher Bedürfnislage heraus als Auftragsarbeiten verfasst haben, so der große Verdi sämtliche seiner Opern bis zur mittleren Phase seines Schaffens.

 

Damit sei zugleich darauf hingewiesen, dass eine, aufgrund solcher Bedingungen zustande kommende Konzentration auf jeweilige Gegenstände (im Falle des FLI auf die Lexikographie/Metalexikographie) durchaus qualitativ höchsten Ansprüchen genügen kann, und dass damit verbundener Einsatz und Zielgerichtetheit in keiner Weise dem des FLE nachsteht. Im Unterschied zum FLE ist beim FLI sogar die Notwendigkeit dazu gegeben, sich solchen Zwängen zu unterwerfen, während bei Vorliegen des FLE eine solche Notwendigkeit in keiner Weise gegeben ist, da auf dieser Basis zustande kommende Ergebnisse keiner Kontrolle und Qualitätsprüfung unterliegen, und dass sie reiner Selbstzweck sind. Ein weiteres, wenn nicht sogar das entscheidende, Merkmal des FLI (und damit des Volscius-Typus) lässt sich daran festmachen, dass sich der furor lexicographicus nur phasenweise (und unter den erläuterten Bedingungen) äußert, ansonsten aber thematisch eine große Vielfalt – je nach Aufträgen – gegeben ist, auf die sich seine nicht minder intensiven Bemühungen (teils durchaus mit als „Furor“ zu bezeichnendem Einsatz) richten, nämlich Fachthematiken unterschiedlicher Bereiche (von Autotechnik bis Politik) zu erarbeiten, weshalb dieser auch als vagabundus (‚vagabundierend’) erfasst wird. Des Weiteren liegen die Aktivitäten des Volscius-Typus durchaus auch im dichterischen Bereich, sodass damit – unter dem Aspekt der schriftstellerischen Tätigkeit „ohne Not“ – wiederum gewisse Überschneidungen mit dem an dem Vigandius-Typus festgemachten FLE gegeben sind, wie überhaupt (allerdings nur in einer einzigen Arbeit dazu) FLE und gleichermaßen FLI in die Nähe dichterischen Schaffens gerückt worden sind (hier derjenigen des Typs ‚Dichtung von Paul Celan’; vgl. Volscius 1999a: „Wissenschaftssprache und Sprache in dichterischen Texten“). 

 

Die beiden, hier voneinander abgegrenzten, Erscheinungsformen des furor lexicographicus sind durchaus nicht in einem medizinischen Sinne als krankhafte Entgleisungen und unter Wahnsinnsverdacht stehend zu betrachten, obwohl sich bei genauerer Betrachtung an ihnen durchaus bedenkliche Züge des Überschreitens von Grenzen des normalen Empfindens festmachen lassen. Auch sind bisher keinerlei Gefahren der Ansteckung bekannt geworden, was im Falle des FLE auf den mit ihm verbundenen Solipsismus bzw. Individualismus und damit gegebener äußerst geringer Rezeptionsbreite entsprechender Kreationen zurückzuführen ist, beim FLI aber bereits aufgrund der nur phasenweise auftretenden Äußerungsform des FLI in sehr eingeschränktem Maße scheint veranschlagt werden zu können. Gleichwohl eröffnen sich bei genauerer historischer Erforschung im Hinblick auf verwandte Formen des Furors erstaunliche Perspektiven, insbesondere einen mehr oder weniger als problematisch zu bezeichnenden psychischen Ausnahmezustand betreffend. Ausgenommen davon ist einzig die Erscheinungsform des sog. furor teutonicus. Der Ausdruck soll auf den römischen Dichter Marcus Annaeus Lucanus (39 bis 65 n. Chr., hier aus den „Pharsalia“) zurückgehen. Bezug genommen wird damit auf den vermeintlich sich hervorhebenden Charakterzug des germanischen Volksstammes der Teutonen, nämlich deren besondere Angriffslust bzw. Raserei in Schlachten (später teils als „deutsches Ungestüm“ wiedergegeben). Hingegen lässt sich eine weithin kaum rezipierte Form des Furor durchaus im Zusammenhang insbesondere mit der Ausprägungsform des FLE betrachten bzw. auf diesen beziehen: Es ist dies der seit der lateinischen Antike so bezeichnete furor principum (deutsch ‚Cäsarenwahnsinn’; vgl. Blase/Reeb 1909). Diese spezifische Form des Größenwahns bzw. der Paranoia wird insbesondere auf verschiedene römische Kaiser bezogen. Es handelt sich dabei weniger um eine Krankheit im medizinisch signifikanten Sinne, als vielmehr um ein ganzes Bündel von Merkmalen, welche mit furor principum erfasst werden, und mit denen verschiedene, eigentlich zur Herrschaft ungeeignete, Monarchen charakterisiert werden. Zu ihnen rechnet man insbesondere (nachfolgend mit den Zeiten ihrer Regentschaft benannt): Caligula (37-41), Nero (54-68), Commodus (180-192), und Elagabal (216-222).

 

Ganz wesentlich - und damit im Zentrum der Aufmerksamkeit aller Bezugnahmen auf Formen des Furor stehend - tut sich der meist als „dichterische Begeisterung“ wiedergegebene – sog. furor poeticus hervor. Der damit angesprochene psychische Ausnahmezustand steht in vielfältigen Beziehungen zu älteren Thesen rund um Fragen der Inspiration, Ekstase, und des damit verbundenen Irreseins, wie sie in Literaturwissenschaft, Philosophie, Psychologie und Psychoanalyse behandelt worden sind. So wird beispielsweise das Endstadium des umnachteten Hölderlin teils als prototypisch für heutige Poeterei angesehen. Erstmals ist im Rahmen eines konstruierten Wörterbuchartikels zu „Pallaksch“ (für ein seinerzeit geplantes Celan-Bedeutungswörterbuch) in einer einschlägigen Publikation darauf Bezug genommen worden (Volscius1999 zum Werk Paul Celans: „Gedeutetes verstehen - Sprachliches wissen“), die ihrerseits in Teilen (und bereits auch aufgrund der kreativen Titelgebung mit bewusster Groß- und Kleinschreibung markanter Ausdrücke) als Beispiel eines, aufgrund des FLI zustande gekommenen, Formulierungsresultats betrachtet werden muss. In dem Gedicht mit dem Titel „Tübingen, Jänner“ hat Paul Celan in der Schlusszeile die bekannte Äußerung „Pallaksch Pallaksch“ zitiert. Er setzt sie zweimal, da (nach Aussagen eines Betreuers) der in einem Turm in Tübingen untergebrachte Hölderlin das „Pallaksch“ einmal im Sinne von „nein“, ein andermal im Sinne von „ja“ geäußert haben soll. Dass Hölderlin an dem Pindar „gezackert“ habe, wie sich Paul Celan ausdrückt, war – und hier offenbart sich in einem noch viel höheren Maße die als FLI angesprochene Erscheinungsform – in der genannten Publikation (Volscius 1999) Anlass, im Stile Paul Celans ein Gedicht in der Rolle eines Mottos den umfangreichen, erstmals erfolgten Ausführungen zu allen Fragen der Celan-Philologie voranzustellen. In dem Muster-Wörterbuchartikel „Pallaksch“ wird des Weiteren Bezug genommen auf verschiedene Erläuterungen von literaturwissenschaftlicher Seite: So stellt man – von Hölderlin ausgehend – einen Bezug zu dem „Zawlawaw“ trunkener Priester und Propheten her, wobei mit „Pa“ Anklänge an „Patriarchen“ gegeben sind, während „alla“ als Manifestation des Lallens erfasst wird, wobei das Wort mit abschließenden „ksch“ im Geräusch endet.     

 

Insgesamt steht der furor poeticus im Kontext der seit der griechischen Antike vertretenen Inspirationsthese, wonach der dichterische - wie überhaupt der künstlerische - Schaffensprozess zu göttlicher Raserei, zu Ekstase, sowie Wahnsinn in Beziehung gesetzt wird. Daran schließt man nicht nur - dem surrealistischen Selbstverständnis nach - im Sinne des Konzepts des sog. „unbewussten“ bzw. „automatischen Schreibens“ („Ècriture automatique“) an, wie dieses im Jahre 1920 von André Breton in Anlehnung an den Psychotherapeuten Pierre Janet ausgeführt wird, welcher bereits im Jahre 1889 den Ausdruck geprägt hat. In dem Zusammenhang sind mindestens Bezüge auch zu Sigmund Freuds Ausführungen über die Psyche des Künstlers bzw. des künstlerischen Schaffens, zur Rolle des Unterbewusstseins etc. gegeben, zur These der Inspiration im Rahmen der Psychoanalyse C. G. Jungs, u.a.m. Des Weiteren kennt man in der christlichen Inspirationslehre, die ihren Ursprung im Hellenismus und Judentum hat, die so bezeichnete Verbalinspiration, wonach der Wortlaut der Bibel als von Gott selbst inspiriert angesehen wird. In der sog. Realinspiration finden Gotteserfahrungen als göttlich offenbarte Sachverhalte in der Prophetie ihren sprachlichen Ausdruck (so spricht z.B. der Prophet im Buch Amos in inspirierter Weise überwältigt und macht seine sprachlichen Einlassungen gleichsam gezwungen).  

 

Angeschlossen wird für sämtliche Formen des sog. furor poeticus an platonische Thesen zum Wesen des schöpferischen Aktes als Ausnahmezustand der Psyche bzw. als irrationaler Zug des Genius. Im Rahmen der Rezeptionsgeschichte dieser These scheint dem italienischen Dichter und Geschichtsschreiber Francesco Petrarca (1304-1374) ein zentraler Stellenwert zuzukommen, wenngleich die spätere Popularisierung der These im 15. Jahrhundert durch eine zunehmende Rezeption und Kommentierung der Schriften Platons ausgelöst worden ist.

Seit der Frührenaissance kann die von Platon beeinflusste These einer göttlichen Inspiration als opinio communis gelten. Ebenfalls wird in der Forschung meist behauptet, dass Landino an diese These anschließt. Der italienische Humanist, Dichter, sowie auch Lehrer der Rhetorik und Poetik, Cristofero Landino (lat. „Landinus“, 1425-1498), hat in seinen „Disputationes Camaldulenses“ (verfasst 1472), dem kurz darauf entstandenen „Prolusione Dantesca“ (Kommentar zu Dantes „Divina commedia“), sowie dem Vergil-Kommentar (1488) explizit auf Platons „Ion“ Bezug genommen, wonach die „poesis“ etwas Göttliches sei, das alle artes liberales umfasse, und in ihren besten Ausformungen erst durch einen so bezeichneten divinus furor ermöglicht werde. Der um 399 v. Chr. entstandene Frühdialog namens „Ion“ beinhaltet ein Zwiegespräch zwischen Sokrates und Ion, dem ephesischen Rhapsoden. Als Rhapsoden galten wandernde Sänger des antiken Griechenland, die bei Festen epische Dichtungen (wie die von Homer) in Begleitung einer Phorminx (eine Art Saiteninstrument) vortrugen. Landino nun hat - über den „Ion“ hinaus – unter Verweis auch auf Platons „Phaidros“ eine Gliederung in vier Arten göttlichen Wahnsinns vorgenommen, wobei er die Unterart des sog. furor poeticus genauer bestimmt als dichterischen Wahnsinn.

 

Wie Landino hat auch dessen Schüler Ficino allerdings das Konzept der vier Typen des sog. divinus furor in seinen Schriften vertreten. Marsilio Ficino (1433-1499) war ein Philosoph, Übersetzer, und Kommentator aus Florenz, der als maßgeblich verantwortlich für die Wiederbelebung Platons in der Renaissance angesehen wird. Zu seinen Publikationen zählen Übersetzungen Platons, Plotins, und des Corpus Hermeticum aus dem Griechischen ins Lateinische. Von der hermetischen Tradition beeinflusst schreibt Ficino über Arten des Wissens und über „natürliche Magie“. Ficino hat wie Landino das Konzept des sog. furor poeticus dahingehend erfasst, dass dieser Subtyp des so bezeichneten divinus furor die Dichter befähige, bedeutende Dichtung hervorzubringen. In seinem Brief „De divino furore“ an Pellegrino degli Agli von 1457 schreibt er wie Landino von den zentralen Eigenschaften des furor poeticus, nämlich dass es dabei darum ginge, die Seele dazu anzutreiben, sich wieder in die Sphäre des Göttlichen zu begeben und zugleich Gedichte in Nachahmung der sog. musica coelestis (‚himmlische Musik’) hervorzubringen.

 

Allerdings muss unter Berücksichtigung der neueren Forschung darauf hingewiesen werden, dass erstens offenbar Landino verschiedene Auffassungen seines Schülers Ficino einfach übernommen hat, und dass zweitens durch Platon weder im „Phaidros“, noch an anderer Stelle dem Dichter ein Wahnsinn zugeschrieben worden ist. Vielmehr ist es bei Platon der Wahnsinn der Liebenden, der (aufgrund von Erregungen der körperlichen Schönheit) die Seelen der Beteiligten dazu antreibt, die Sphäre des Göttlichen wieder aufzusuchen, während dem Wahnsinn des Dichters bei Platon allein/einzig die Aufgabe zukommt, Dichtungen zu verfassen. Mit der von Ficino dem so bezeichneten furor poeticus zugeschriebenen Funktion, die Seele in die Sphäre des Göttlichen zurückzuführen, kann sich Ficino folglich nicht auf Platon berufen, da nach Platon der furor poeticus diese Funktion nicht aufweist: Offenbar vermengt Ficino zwei, bei Platon noch getrennte, Typen des göttlichen Wahnsinns, nämlich den Wahnsinn der Dichter (furor poeticus), und den der Liebenden, den sog. furor amatorius. Und in dieser nicht zutreffenden Darstellung folgt Landino seinem Schüler Ficino. Als Beleg dafür lässt sich anführen (vgl. Cyron 2008), dass Landino den furor poeticus in seinen „Disputationes“ im Wortlaut gleich darstellt, wie Ficino im degli-Agli-Brief. Er erwähnt den Ficino nicht einmal bzw. den Umstand, dass dieser von Platon abweicht und dem furor poeticus Eigenschaften zuschreibt, welche bei Platon nur dem Liebeswahnsinn zugeschrieben werden. Es handelt sich also um eine unplatonische Vermengung des furor poeticus mit dem furor amatorius. Verantwortlich dafür werden Stellen aus dem Phaidron-Kommentar des Ficino (im Ursprungstest in lat. Sprache) gemacht: „Kein Wahnsinniger aber gibt sich mit einer einfachen Sprechweise zufrieden, sondern in Geschrei bricht er aus, in Lieder und Gedichte. Deshalb gewinnt man zu Recht den Eindruck, dass jeder beliebige Wahnsinn, sei es der der Wahrsager, sei es der auf religiöse Entsühnung gerichtete, sei es der Liebeswahnsinn, zum dichterischen Wahnsinn wird, wenn er in Liedern und Gedichten in Erscheinung tritt.“ (zit. nach Cyron 2008, 270).

 

Somit konnte jede „göttliche“ Form des Wahnsinns jemand zum Dichter werden lassen, womit allerdings die Differenz in der Symptomatik und Wirkung der sog. „vier göttlichen furores“ verwischt wird. Genauer betrachtet, hat Platon die Inspiration als eine Gabe göttlichen Ursprungs angesehen, die sich als eine von den Musen verliehene μανια ποιητική (‚poetische Manie’) äußert, ohne die ein Dichter trotz all seiner τέχνη (‚Fertigkeit’) kein wirklich großer Dichter vom Rang z.B. eines Homer oder Hesiod werden könne (vgl. den „Ion“ oder „Phaidros“). Diese μανια ποιητική wird allerdings (vgl. Cyron 2008, 271) im „Ion“ mit ironischer Distanz betrachtet, im „Phaidron“ aber insofern durchaus als positive und damit „gottgegebene“ Art des Wahnsinns eingeordnet, als ihr Produkt als etwas Positives erscheint, nämlich als Dichtung. Im Sinne einer von den Musen induzierten Form „göttlicher Manie“ steht diese Manie in einer Reihe mit drei weiteren Formen gottgegebenen Wahnsinns: der von Apoll verliehenen Wahrsagekunst (furor fatidicus), dem auf religiöse Entsühnung gerichteten Wahnsinn, den Dionysos verleiht  (furor mysterialis), sowie den Formen des von Aphrodite und Eros inspirierten Liebeswahnsinns (furor amatorius). Dabei wird der so bezeichnete furor amatorius als die beste Form des göttlichen Wahnsinns bezeichnet, und ihm die Funktion zugeschrieben, die Seele auf jenen gleichnishaften ΰπερουράνιος τόπος  (den ‚überhimmlischen Ort’) hinzulenken, wo sie nach Sokrates „endlich das wahrhaft Seiende erblickt und die Wahrheit liebt und betrachtet“. Für die anderen drei Arten des göttlichen Wahnsinns gilt dies aber nicht.   

 

Vor dem Hintergrund dieser nicht einmal exhaustiv, gleichwohl aber etwas eingehender, betrachteten Zusammenhänge zeigt sich eine erhebliche Spannweite von Argumentationshinsichten, wie gleichermaßen der zu unterscheidenden Typen des Furor: furor fatidicus, furor mysterialis, furor amatorius, (mit Zweitstellung in der Komposition) divinus furor, furor teutonicus, furor principum, und last but not least: furor poeticus. Für die in der neuesten Forschung  hinzutretenden Typen des furor lexicographicus excessivus (FLE) und des davon nach verschiedenen Kriterium abgehobenen furor lexicographicus interruptus (FLI)sind nur wenige der anderen Typen der als furor zu bezeichnenden Formen eines psychischen Ausnahmezustands (mit Tendenz zum Irresein) im engeren Sinne als argumentativ bedeutsam anzusehen. Neben dem so bezeichneten furor principum, der im Wesentlichen lediglich auf den auch so bezeichneten Vigandius-Typus mit einiger Berechtigung (aufgrund des mit dem FLE in besonderer Weise verbundenen Alleinvertretungsanspruchs und Dominanzgebahrens) beziehbar ist, kann einzig die Erscheinungsform des sog. furor poeticus auf beide aktuelle Formen des Furor bezogen werden. Die Berechtigung dafür leitet sich, wie bereits angedeutet, davon ab, dass die dem Wesen des dichterischen Schaffens zugeordneten Eigenschaften in nicht minder großem Ausmaß auf die sprachlichen Kreationen des FLE wie auf jene des FLI gleichermaßen bezogen werden können.

 

Späteren Forschungen bleibt es vorbehalten, eine diesbezügliche Einordnung weiter zu vertiefen und gegebenenfalls die beiden bisher nur an jeweils einem Exemplar festzumachenden Ausprägungsformen des Furor auch zu anderen Formen in Beziehung zu setzen. Zum gegenwärtigen Forschungsstand erscheint neben dem sog. furor fatidicus insbesondere der furor amatorius dafür der aussichtsreichste Kandidat zu sein, den man nur als das begreifen kann, was man heute als Orgasmus bezeichnet. Gerade für eine solche sich insgesamt abzeichnende sexuelle Perspektivierung der Problemlage käme, neben der Bezugnahme auf herausragende Gewährsleuten wie Sigmund Freud und Wilhelm Reich (hier z.B. „Die Funktion des Orgasmus“) aus dem Bereich der Psychoanalyse, in völlig gleichberechtigter Weise mit diesen aus der Philosophie der Berücksichtigung von Überlegungen insbesondere Schopenhauers ein wesentlicher Stellenwert zu, der in nicht minder korrekter Einschätzung der Sachlage zur „Verliebtheit, wie ätherisch sie sich auch gebärden mag“, festgestellt hat: Sie „wurzelt allein im Geschlechtstriebe“. Für die generelle Einschätzung der behandelten Erscheinungsformen des FLE und FLI und verwandter Formen eines psychischen Ausnahmezustands sowie auf deren Basis zustande gekommener Produkte sei gleichfalls auf Schopenhauer hingewiesen, der einmal gesagt haben soll: „Für das praktische Leben ist das Genie so brauchbar wie ein Stern-Teleskop im Theater“.   

 

→ Lexikographie, Metalexikographie

 

&  Cyron 2008, Volscius 1995, 1999, 1999a, 2002 [W.W.]

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Subkutane Lektionen IV: Dame mit Mann