Inhalt:

(1) Rezension zu "Willi kocht" (das Kochbuch meines Neffen Helmar Weitzel, bekannt als "Willi" aus der Fernsehserie "Willi wills wissen"; gewiss keine Gefälligkeits-Rezension für den Neffen, sondern aus Überzeugung verfasst; eingestellt - und damit sozusagen "vor die Hunde geworfen" auch bei "Amazon.de"; Rezension geht dort zwischen dem Gewäsch um "Ach, wie lieb", "Ach, wie lecker" etc. unter)

(2) Stellungnahme zur Aufführung des Landestheaters Detmold in Paderborn: "Il trovatore"/"Der Troubadour" (Paderhalle 10.04.2013)

(3) "Schlafes Bruder" vielfach beleuchtet (eine besondere "Rezension", entstanden kurz nach Erscheinen des Romans)

(4) Laudatio zum 70. Geburtstag von Herbert Ernst Wiegand (hier zugeordnet, da bei Web.de nicht genügend Platz für Rubriken und Unterrubriken zur Verfügung stand)

(5) Bericht Klassentreffen 2011

(6) Klassentreffen: Schnee von gestern (zweiter Bericht dazu)

(7) FCKK Stadtallendorf (siehe Homepage: Karneval-Verein):

 

      Eröffnung der Kampagne 2010/2011

 

(8) FCKK: Prunksitzung 19.02.2011

(9) FCKK: Neujahrsempfang 08.01.2012

(10) FCKK: Eröffnung der Kampagne 2012/2013

(11) FCKK: Neujahrsempfang 06.01.2013

(12) FCKK: Prunksitzung 26.01.2013

-------------------------------------------------------------------------------------

Helmar Weitzel kocht prima im Willi-Stil

 Rezension zu „Willi kocht“

 

 Bereits nach der ersten Durchsicht von „Willi kocht“ ist man erstaunt, wie professionell das Buch gestaltet ist, wie gut die zahlreichen Fotos und Kommentare aufeinander abgestimmt sind, und wie vielseitig und lebhaft die Ausführungen auch in sprachlicher Hinsicht sind. Bei genauerer Prüfung bestätigt sich dieser ganz und gar positive Eindruck zunehmend: Es ist dies ein Buch, in das man auch unabhängig von der Koch-Thematik gern schaut. Willi gelingt es auch in diesem Bereich in hervorragender Weise, dem zu entsprechen, was man mit seinem Namen verbindet, nämlich zugleich niveauvoll und mit Witz die Zielgruppe für etwas begeistern zu können.

 

Und zu dieser Zielgruppe zählen bekanntlich vor allem die Kinder – aber durchaus nicht nur diese. Erinnert sei an die großen Erfolge mit „Willi will’s wissen“ (172 Folgen), die ihren Grund in der Glaubwürdigkeit des „Reporters“ Willi haben. Denn er verfügt wie kaum ein anderer über die – nicht durch Lernen zu erreichende - Fähigkeit, sich in die Gedankenwelt von Kindern hineinversetzen zu können. Anders war das auch nicht in dem Kinofilm „Willi und die Wunder dieser Welt“ oder in „Willis Quiz Quark Club“. Nicht umsonst ist er mit zahlreichen Auszeichnungen bedacht worden, so mit dem Adolf-Grimme Preis, dem Erich-Kästner-Fernsehpreis, dem Robert-Geisendörfer-Preis, um nur einige der Preise zu nennen. Darüber hinaus ist er als Moderator zahlreicher Veranstaltungen hervorgetreten, ist Unicef-Pate, und hat mit Sendungen wie „Willis Vips“ oder in den bisherigen Folgen von „Ein guter Grund zu feiern“ einen hervorragenden Eindruck hinterlassen. Außerdem hat Willi erfolgreich in Begleitung eines Orchesters seine Version von „Peter und der Wolf“ (nach S. Prokofiev) vorgetragen, sowie zuletzt in gleichem Stil (im Oktober 2012 in Marburg) die Kinderoper „Hänsel und Gretel“ (nach E. Humperdinck).  

 

Dass Willi nunmehr ein Kochbuch publiziert hat, mag zunächst erstaunen. Immerhin meinen bekanntlich ja viele Promis, sie müssten in diesem Sachbuch-Bereich mit ihrem Namen auf sich aufmerksam machen. Natürlich ist das grundsätzlich durchaus legitim. Nur glaubt man oft, es sei dies ein Kinderspiel (nicht anders als das Verfassen eines Kinderbuchs, wozu sich manche ebenfalls berufen fühlen). Dass „Willi kocht“ sich von gängigen Kochbüchern durchaus unterscheidet, ist bereits angedeutet worden: Vor allem bleibt er seinem Stil treu, in erster Linie die Zielgruppe im Auge zu haben, hier Kinder zum Mitmachen beim Kochen anzuregen, ohne sie dabei zu unterfordern oder zu überfordern. Er hat gewiss kein Kochbuch gemacht, nur um ein Kochbuch zu machen. Denn so, wie er Kinder motiviert, zusammen mit einem/einer Erwachsenen verschiedene Gerichte auszuprobieren, so ist er selbst umgekehrt von einem Kind dazu motiviert worden, sich an das Verfassen des Buches zu machen.Als „Initialzündung“ gleichsam wirkte nämlich, wie Willi bekennt, die Äußerung „Papa, kann ich helfen?“ des auf der Titelseite abgebildeten Jungen. Dieser findet sich zusammen mit seiner Schwester (Kinder von Freunden Willis) auch sonst auf verschiedenen Seiten des Buches als Bestandteil der vielfältigen Illustrationen.

 

Das Buch zeichnet sich der Konzeption nach wesentlich dadurch aus, dass das gemeinsame Zubereiten von Gerichten (und im Kapitel „Feuchtes und Fröhliches“ auch von Getränken) im Zentrum der Aufmerksamkeit steht: Es handelt sich um sehr genaue Anleitungen, nach denen ein Kind zusammen mit einer erwachsenen Person vorgehen kann (bzw. laut Willis Empfehlungen am besten vorgeht), um von den Zutaten jeweiliger Rezepte sowie den nötigen Vorbereitungen und durchzuführenden Tätigkeiten schließlich zu einem schmackhaften Ergebnis gelangen zu können. Bei großräumiger Gestaltung auf jeder Seite werden die Küchengeräte (als Schwarz-Weiß-Zeichnungen) angeführt, dann die Zutaten großzügig auf einer linken Spalte untereinander (z.B. „5 getrocknete Tomaten“; vgl. unter „Kuss-Kuss-Salat“). Der wichtigste, und ebenso zu jedem Rezept durchgehaltene Aspekt ist aber: In der mittleren Spalte gibt Willi dem Kind („Kleiner Koch“) Schritt für Schritt genaue Hinweise, was im Einzelnen zu tun ist (z.B. „in kleine Streifen schneiden“). Ebenso wird auf der rechten Spalte (aber in roter Farbe) der erwachsenen Person („Großer Koch“) angegeben, welche Aktivitäten parallel oder begleitend durchgeführt werden sollen (z.B. „in einer Pfanne ohne Öl rösten“). Was jeweils zu tun ist, dürften die daran beteiligten Erwachsenen wohl meist durchaus wissen. Allerdings ermöglicht diese tabellarische Darstellungsweise dem Kind – gerade im Sinne einer gemeinsamen, das Kind dabei anlernenden Tätigkeit –, die erforderlichen Schritte selbst gut nachvollziehen und dabei eine aktive Rolle einnehmen zu können. Das Kind könnte z.B. die erwachsene Person darauf hinzuweisen, was nach der eigenen Aktivität nun Seiten der/des Erwachsenen zu erfolgen hat. 

 

Bemerkenswert ist daran, dass sozusagen jeder Handgriff angegeben (durchaus nicht vorgeschrieben) wird – für „Kleiner Koch“ und „Großer Koch“ gleichermaßen. Am Rande sei angemerkt: Wenn man die Systematik der Vorgehensweise aus theoretischer Sicht einordnen möchte, so lässt ich feststellen: Eine solche Vorgehensweise kommt durchaus überein mit Konzepten der „Scripts“, „Plans“ und „Frames“, wie sie im Rahmen der kognitiven Wissenschaften (kognitive Psychologie und Linguistik) vorgeschlagen worden sind und als „schemaorientierte Ansätze“ zusammengefasst werden. Solch ein „Script“ z.B. lässt sich als eine Art Drehbuch für stereotypische, alltägliche Abläufe auffassen, ausgehend von „Zutaten“ (beteiligte Personen und deren Rollen, sowie der jeweiligen Handlungsabläufe).

 

Nun ist Kochen samt Zutaten, Vorbereitungen und schließlich der Zubereitung durchaus nicht mehr als nur eine Praxis. Gleichwohl spielen dabei sehr differenzierte planerische Prozesse (Abfolge der verschiedenen Schritte und ihrer sachlogischen Verknüpfung) eine Rolle, die im Vorfeld kognitiv vorweggenommen werden müssen bzw. zu bedenken sind, gerade wenn man das alles für andere mit- und nachvollziehbar darstellen will. Und hierzu ist zunächst festzustellen, dass es Willi in sprachlicher Hinsicht sehr gut gelungen ist, die verschiedenen Schritte bis zur Fertigstellung eines Gerichtes in lebhafter und kreativer Art und Weise – eben willihaft – zu vermitteln. Was hier nicht minder ins Gewicht fällt sind die Illustrationen. Diese lassen sich als derart gut gelungen bezeichnen, dass man nur feststellen kann: Besser kann man die Gestaltung kaum machen. Man hat sich hier nicht auf obligatorische große und kleine Abbildungen zu den fertigen Gerichten beschränkt, wie man das aus sonstigen Kochbüchern kennt. Vielmehr ist nahezu jede Seite (über das genannte Grundschema hinaus) etwas anders gestaltet, ohne dass man sagen könnte, die Seiten seien mit Illustrationen überladen.

 

Einheitlich gestaltet sind jeweils zwei Seiten zu jeder neuen Rubrik. Zu „Salate“ z.B. findet sich auf der einen Seite eine ganzseitige farbige Abbildung (Willi mit den beiden Kindern bei der Arbeit). Auf der anderen Seite steht im goldenen Schnitt der Titel („Salate“) mit dem lustigen Spruch „Da haben wir den Salat…“, darunter eine Bilderfolge (in Kleinformat; ähnliche Motive wie die des großen Fotos). Oben auf der Seite findet sich außerdem eine witzige, wunderschöne Comic-Zeichnung zu dem Thema. Für den Einstieg in die anderen Rubriken des Buches sind diese Seiten auch von der Raumaufteilung her gleich gestaltet: „Suppen“, „Kartoffeln“, „Nudeln“, „Hauptgerichte“, „Desserts“, „Backen“, und „Getränke“. Nicht unerwähnt bleiben soll, dass sich ganzseitige farbige Abbildungen auch zu einzelnen Gerichten finden, dann meist mit Willi, der mit einem Schild in der Hand („Mein Tipp“, „Mein Geheimtipp“) mit ergänzenden Tipps aufwartet, einen Scherz bereithält etc. Außerdem finden sich verschiedene Tipps (in Schreibschrift) auch auf den Seiten mit den Instruktionen zu den Gerichten. Des Weiteren sind zu nennen: „Willi Spezial-Info“ (z.B. zu Wirkstoffen der Karotte), kurze Ausführungen auch z.B. zur „Geschichte der Kartoffel“, zu Dialektwörtern für „Kartoffel“ (vgl. „Willis Quizfrage“ auf S. 48), verschiedene Hinweise der Art „Willis Lieblingssuppe“, Hinweise auf Bezeichnungen für „Guten Appetit“ in anderen Sprachen (z.B. „Afiyet olsun!“ für das Türkische). Mit anderen Worten: Die Illustrationen sind dem Typ nach variabel gehalten und wohlüberlegt im Sinne einer ästhetisch ansprechenden Gestaltung eingesetzt. Daran kann sich ein „Kleiner Koch“ ebenso erfreuen wie ein „Großer Koch“.

 

Die Vorspanntexte des Buches sind ebenfalls sehr gut gestaltet. Hier spricht Willi in einem der Textteile zunächst die kleinen Köche in der für ihn typischen Art an („Liebe kleine Köche!“), anschließend auch in ebenso erfrischender Art und Weise die großen Köche („Liebe große Köche!“). Sodann macht er Ausführungen zur Vorgehensweise und zu den nachfolgenden Textteilen (unter „So funktioniert’s“). Darauf folgen weitere Textteile, so „Spielregeln – Kochen mit Kindern“. Dort werden verschiedene Empfehlungen gegeben, hier unter anderem „Messer nicht abschlecken!“, oder zum Händewaschen. Natürlich mag man sich fragen, ob das nötig ist. Aber wären derartige Ausführungen (auch z.B. zur „Aufsicht des großen Kochs“ am Herd) nicht gemacht worden, könnte man sich Einwände verschiedener Art leicht vorstellen. Ein weiterer Textteil dieser Art ist z.B. „Gemüse schneiden“. Dort wird erläutert und in Bildserien – die sich übrigens auch sonst zu den einzelnen Rezepten finden – dargestellt, wie man „Zwiebel würfeln“, „Knoblauch würfeln“ etc. macht. Die Ausführungen richten sich also an die „Kleinen Köche“. Daneben werden auf einer Seite auch verschiedene Ausdrücke erläutert, die in den Koch-Anleitungen vorkommen. Der Nachspann des Buches umfasst sodann die Teile: „Willis Küchenschrank“ (mit Zeichnungen samt Legende zu „Sieb“ etc.), dann das „Rezeptregister“, „Praktische Tipps“ (zu verschiedenen Verfahrensweisen der Art „Nudeln kochen“, „Salat waschen“), sowie das Impressum („Über dieses Buch“), anschließend noch einige Tipps, und am Ende eine Danksagung auf der hinteren Umschlagseite innen.

 

Was das Styling, die Illustrationen, die Aufnahmen etc. angeht, sei auf die Angaben im Impressum verwiesen, sowie auf die Danksagungen Willis an diejenigen Personen, die an der Erstellung des Buches beteiligt waren. Gleiches gilt für die Personen, die im engeren Sinne an den Inhalten (Rezepte für die Gerichte) maßgebend mitgewirkt haben. Erwähnt sei in diesem Zusammenhang, dass Willi von dem Koch Jürgen Füssel beraten worden ist, der über einen großen Erfahrungsschatz in Sachen „Kochen mit Kindern“ verfügt.Willi hat die Rezepte übrigens auch selbst ausprobiert, also alle damit verbundenen Handgriffe durchgespielt. Es ist also von ihm gewiss nicht leichtfertig etwas von einer mit dem Kochen bzw. mit Kochrezepten professionell befassten Person einfach ungeprüft übernommen worden. Und er hat vor allem dafür gesorgt, dass sein Stil durchweg in allen Aspekten zum Tragen kommt, um die es in dem Buch zentral geht: zum gemeinsamen Tun von Kindern und Erwachsenen zu motivieren – hier bei der Zubereitung von Gerichten. Es ist dies ein Buch, das inhaltlich und der Gestaltung nach im Bereich der Kochbücher die deutsche Buchlandschaft auf jeden Fall bereichert.

 

Aber Gefallen an dem Buch dürften auch alle die Freunde von Willi finden, die überhaupt (oder fast) nicht kochen können oder kochen wollen. Man mag sich nämlich berechtigterweise beispielsweise Fragen der Art stellen: Sind die Rezepte für die Zielgruppe sinnvoll ausgewählt worden? Hat Willi alle Zutaten genannt, die Personen ebenfalls wählen würden, die sich mit dem Kochen sehr gut auskennen? – Dazu sind an dieser Stelle keine Ausführungen zu erwarten, was abschließend bedauerlicherweise in eigener Sache und damit in bekenntnishafter Weise angesprochen werden muss: Ich kenne mich diesbezüglich so gut wie nicht aus, befinde mich also im Zustand relativer Unbedarftheit in Sachen Kochen bzw. Zubereitung von Speisen. Gleichwohl sei darauf hingewiesen, dass die gelungenen Ausführungen des Buches (und natürlich auch die Illustrationen und die anregenden sowie witzigen Kommentare) nicht folgenlos geblieben sind, was meine Person angeht: Denn ich bin mittlerweile dermaßen motiviert, dass ich jetzt sofort darangehen werde, etwas auszuprobieren: Ich will’s wissen! Ich denke an eines dieser Getränke, das es mir besonders angetan hat, und wofür sich mir die Instruktionen zu dessen Herstellung leicht zu erschließen scheinen: dieses „Erdbeer-Banane-Birne-Smootie“ nämlich, wozu Willi diese schöne und witzige Erläuterung gemacht hat: „Das wird ungefähr so ausgesprochen: Smu-sies (das mittlere ‚s“ wird gelispelt)“. Nur werde ich das Getränk mit ein wenig Whisky sozusagen etwas veredeln. Willi, der auf eine derartige Verfeinerung bzw. Modifikation eines seiner Getränke-Rezepte verständlicherweise nicht eingehen konnte, wird mir das sicher vergeben. 

 

W.W.

 

------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Anmerkungen zu „Il trovatore"/"Der Troubadour“

(Landestheater Detmold: Paderborn, 10.04.13)

 

Ich möchte einige wenige Anmerkungen zu der Veranstaltung machen, obwohl ich zuerst daran dachte, davon Abstand nehmen zu sollen. Aber nachdem ich noch am Abend nach der Aufführung in das Heft geschaut habe, das ich im Rahmen der Vorstellung gekauft hatte (Umfang: 81 Seiten; kleinformatig), dachte ich mir, etwas äußern zu müssen, was z.B. in Zeitungskommentaren sicherlich nicht angesprochen wird. In meiner Eigenschaft als Sprachwissenschaftler, Wörterbuchmacher etc. bin ich sozusagen insofern fachfremd, als ich nicht aus der Musikszene komme. Als Sprachkritiker (siehe z.B. „Subkutane Lektionen“ im Internet) und in der Musik einigermaßen bewanderte Person glaube ich dennoch einige weiterführende Bemerkungen zu der Vorstellung der Landesbühne Detmold machen zu können.

Und damit bin ich bereits beim ersten Punkt, sozusagen beim Präludium (bzw. Proömium): Ich möchte in aller Deutlichkeit und ohne jede Einschränkung zu der sprachlichen Verfasstheit des genannten Heftchens sagen, dass ich beeindruckt bin. Sonst hatte ich öfters polemisch geäußert, dass ich an jedem Text im Umfang von mehr als zehn Zeilen mit Sicherheit etwas auszusetzen finden würde – sei es die Rechtschreibung (einschließlich Interpunktion) betreffend, seien es Mängel der logischen Verknüpfung, oder seien es sonstige stilistische Mängel. Aber all das konnte ich hier nicht feststellen. Ich halte also fest: Meine Polemik, den von mir so bezeichneten alltäglichen Analphabetismus betreffend, muss ich angesichts der zur Kenntnis genommenen Formulierungsresultate relativieren. Beeindruckt hat mich vor allem auch, dass man das Semikolon noch kennt, also nicht (wie sprachlich Unbedarfte heute) vollständige Sätze mit einem Komma anschließt. Mit anderen Worten: Es hat mich gefreut, dass heute noch Personen existieren, die Texte derart gut formulieren können.

Und noch etwas – als Zusatz im Rahmen des Präludiums -: Ich war bei der Einführungsveranstaltung, in der eine Dame die Oper vorgestellt hat. Auch hier kann ich nur sagen: Die Formulierungskraft der Dame, deren Namen ich nicht kenne, war hervorragend. Wir wissen, wie komplex die Oper ist, für wie problematisch schon zu Lebzeiten Verdis das Libretto (samt Ausgangstext) angesehen worden ist, etc. Die Dame hat ihre Ausführungen sehr ansprechend und lebhaft gestaltet. Ich hätte mir allerdings gewünscht, wenn Sie auch auf die Darstellerinnen und Darsteller etwas eingegangen wäre. Aber es war wohl beabsichtigt, Ausführungen dazu auszusparen. Ihre abschließenden Darlegungen zu den Bühnenbildern der einzelnen Szenen vermittelten mir – gerade auch rückblickend beurteilt - den Eindruck, sich für gewisse ungewohnte Arrangements entschuldigen bzw. im Voraus daran appellieren zu müssen, dass man Verständnis für eine gewisse moderne Interpretation aufbringen müsse. Doch warum sollte man nicht einen Bezug zur Gegenwart herstellen? Hätte man alle Aktivitäten in weit zurückliegenden Zeiten belassen sollen, nämlich den Bürgerkrieg um 1400, die Hexenverbrennung, in dem Zusammenhang eine Kindstötung durch Verwechslung, sowie all die schwerwiegenden Traumata und belasteten zwischenmenschlichen Verhältnisse zwischen den vier Hauptakteuren? Erstens geht es im Wesentlichen um die psychische bzw. seelische Verfasstheit der vier Hauptakteure und deren Verhältnis untereinander, und zwar als Resultat bzw. Reflex verschiedener furchtbarer Vorkommnisse, welche in verschiedenen Szenen lediglich referierend zur Kenntnis gebracht werden. Das ständige Gerede in Zeitungsbeiträgen zu dieser Oper (natürlich voneinander abgeschrieben), die Vorlage sei wirr etc., alles viel zu komplex bzw. kaum nachvollziehbar, kann man kaum noch hören: Ein Dünnbrettbohrer war Verdi gewiss nicht (gewiss auch nicht in sprachlicher Hinsicht). Der hatte sicher gute Gründe, diesen Stoff zu wählen. Zweitens hätte sich ein Bezug zur aktuellen Gegenwart im Rahmen der Rezeption assoziativ ohnehin eingestellt, nämlich z.B. mit Blick auf die furchtbaren Geschehnisse in Syrien und anderen Ländern. Und wer zufällig eine Meldung wie die vom 08.04.13 gehört hat, nämlich dass in Papua-Neuguinea gerade zwei Frauen aufgrund von Hexerei-Vorwürfen hingerichtet worden sind, der oder dem mag auch dies als eine auf  den „Troubadour“ beziehbare Aktualität erschienen sein. Was individuell kognitiv erfasst wird, ist ohnehin lediglich ein Interpretations-Konstrukt! Dieses kommt dadurch zustande, dass die verschiedenen einzelnen Aktivitäten (hier solche auf der Bühne) einem jeweiligen Handlungstyp zugeordnet werden und somit als Handlung der und der Art gedeutet/interpretiert werden. 

Ich komme im Rahmen meines Kommentars nun zum Interludium: Zahlreiche Personen, die sich durchaus für Opern interessieren, scheinen sich bereits im Vorfeld sachkundig gemacht zu haben, was die Aufführungspraxis durch die Landesbühne angeht (vgl. z.B. den Filmausschnitt im Internet): Nicht von Ungefähr blieben etliche Plätze leer. Mit Sicherheit ist davon auszugehen, dass es sich bei denjenigen Personen, die ferngeblieben sind, um solche Personen handelte, die wohl eine übertrieben modernistische Inszenierung durch einen Newcomer befürchteten, der sich damit meinte profilieren zu müssen. Es ist doch so, dass viele durchaus an der Klassik Interessierte die Erfahrung gemacht haben, dass bekannte Theaterstücke und Opern durch Inszenierungen gewisser Art veralbert worden sind. Damit bringt man Jugendliche nicht zur Oper. Aber die Alten, die teils sachkundig sind, und die eine gewisse konstante Erwartungshaltung haben, wonach (hier) eine Opernaufführung einem gewissen Ritus folgen sollte (ein Ritus besteht übrigens darin: „dasselbe noch einmal“), nur verschreckt werden. Nun muss man allerdings sagen: Anlass für derartige Befürchtungen hat die Aufführung von „Der Troubadour“ meines Erachtens nicht gegeben: Hier sind die Akteure (Sängerinnen/Sänger) eben nicht nackt herumgesprungen oder haben ein albernes und gänzlich unwürdiges Kaspertheater aufgeführt. Und da gab es auch sonst nichts Anstößiges in einer Art und Weise, die hätte Anlass sein können, die Aufführung insgesamt abzulehnen bzw. ihr gleich fernzubleiben.

Ich komme nun zum Purgatorium: Bei aller denkbaren Kritik an manchen Details war eines nicht zu übersehen, nämlich dass wir Sängerinnen und Sänger erlebt haben (die Chöre inbegriffen), denen man höchstes Niveau bescheinigen kann - und zwar gleichermaßen in gesangstechnischer Hinsicht, wie im Hinblick auf ihre sonstigen darstellerischen Fähigkeiten. Ohne die anderen damit herabsetzen zu wollen, möchte ich dazu sagen: Marianne Kienbaum Nasrawi (als Leonore) und Evelyn Krahe (als Azucena) können es mit jeder Sängerin in ihrer Sparte aufnehmen. Um darüber im Einzelnen ein sachgemäßes Urteil abgeben zu können, fehlen mir zwar die Fachkenntnisse; aber aufgrund verschiedener, mir zugänglicher, Präsentationen auf Platte und CD glaube ich eine solche Einschätzung vertreten zu können: Auch andere Mütter haben eben schöne Töchter! Hinter dieser Anna Netrebko beispielsweise (wie auch immer sie zu ihrem Ruhm und ständiger Präsenz im Fernsehen gekommen sein mag, obwohl sie ja wirklich auch etwas kann) stehen die beiden Damen jedenfalls in keiner Hinsicht zurück. Sie haben durchweg in beeindruckender Weise agiert, wobei (aufgrund der Länge und wegen des großen Schwierigkeitsgrads der Partie) Leonore vor allem in den Schlusspartien in besonderer Weise und geradezu beeindruckend herausragen konnte. Allerdings sei darüber die überzeugende Leistung auch von Sarah Davidovic nicht vergessen, obwohl sie hier bloß in einer Nebenrolle als Inez aufgetreten ist.

Was die männlichen Rollen angeht, so muss man sich davon frei machen, immer nur an Pavarotti und weitere bekannte Akteure der Opernszene zu denken. Denn auch andere Sänger können etwas! So erscheint der Bariton Andreas Jören geradezu prädestiniert für die Rolle des Grafen von Luna. Aufgefallen ist hier besonders, dass er neben den gezeigten stimmlichen Qualitäten durchweg ganz hervorragend schauspielerisch agiert hat. Aber auch der in der Nebenrolle des Ferrando auftretende Joonyoung Kim hat in jeder Hinsicht überzeugt. Gleiches muss man für Emmanuel di Villarosa in der Rolle des Manrico feststellen. Stimmgewalt kann man ihm gewiss nicht absprechen. Ich halte es aber nicht für fair, ihn gegebenenfalls deshalb in der Beurteilung zu benachteiligen, weil er nicht gerade wie George Clooney aussieht bzw. dem Typus eines smarten Liebhabers entspricht, wie sich jemand dazu in der Pause geäußert hat. Meine ersten Bedenken galten zunächst durchaus diesem Aspekt bzw. dem daraus ableitbaren Glaubwürdigkeitsproblem, nämlich dass sich eine derart attraktive Leonore, wie sie von M. Kienbaum Nasrawi verkörpert wird, einem solchen Troubadour hingeben möchte. Bei genauerem Nachdenken allerdings hat sich diesbezüglich eine Änderung meiner Einstellung ergeben: Oft wird ja an Opernaufführungen kritisiert, dass der z.B. jugendliche Liebhaber nicht mit einer besonders attraktiv erscheinenden Person besetzt ist, oder die Rolle einer Geliebten von einer wenig unansehnlichen oder alten Sängerin übernommen wird. Eine solche Haltung erscheint mir allerdings als völlig verfehlt: Wenn es um die Sache geht, hier nämlich um die gesangliche Qualität (und das sonstige Agieren auf der Bühne), dann sind derart kleinmütige Vorgefasstheiten, das Erscheinungsbild eines Akteurs/einer Akteurin betreffend, abzulehnen. Von daher lässt sich der Umstand, dass Leonore einen unscheinbaren Mann liebt, der mit seinem wüstem Haar nicht gerade eine gepflegte Erscheinung abgibt (und der mit einem Gitarrenkasten auf die Bühne tritt, welcher fast so groß ist, wie er selbst), als Moment des Affronts gegen gewisse Erwartungshaltungen zu begreifen. Und genau dies, nämlich dass man derartigen Voreingenommenheiten etwas entgegengesetzt hat, ist zu begrüßen!  

In dem Zusammenhang sei schließlich auf zwei weitere Aspekte hingewiesen, die sich als  Durchbrechen gewisser Erwartungshaltungen bzw. als Affront gegen liebgewordene und verinnerlichte Wertmaßstäbe auffassen lassen, wie sie beim so genannten Bildungsbürgertum der älteren Generation weit verbreitet zu sein scheinen: verschiedene verfestigte Meinungsbilder bzw. Vorstellungs-Klischees, die als Bündel von Erwartungshaltungen eine Gemütslage bzw. psychische Verfasstheit ausmachen, welche sich gegen jede Irritation abschottet und (wie für rituelle Handlungen kennzeichnend) nur auf die Bestätigung des Gewohnten gerichtet ist: Und hier dürften insbesondere verschiedene Momente der Aufführung auf Ablehnung gestoßen sein, welche die eingesetzten Utensilien betreffen. So tritt Leonore in einer Szene zu Beginn, in welcher sie Ines von ihrer Zuneigung zum Troubadour berichtet, als schick gekleidete moderne Frau auf, die sich kess bewegt, sich zwischendurch die Lippen schminkt, und die raucht. Gleiches tut auch Ines, welche Leonore sogar während ihrer Gesangsdarbietung Feuer gibt (wenn ich es recht in Erinnerung habe),  sich wie Lili Marleen an die Wand lehnt, sich die Schuhe auszieht, etc. etc. Auch in anderen Szenen wird geraucht; und manch ein Zuschauer/eine Zuschauerin mag sich gefragt haben: Was soll das? – Einmal mehr ist darauf hinzuweisen, dass Reflexion nötig ist, um zu einem sachgemäßen Urteil gelangen zu können. Das Rauchen und sonstige Aktivitäten stehen hier im Dienste der Glaubwürdigkeit dessen, was im Rahmen der gesanglich vorgetragenen Äußerungen vermittelt wird: Nervosität, innere Bewegtheit, und teils wohl auch Zweifel, die angesichts der von Seiten der Ines geäußerten Bedenken bei Leonore aufkommen. Zumindest eine zentrale stereotype Vorstellung verbindet sich mit dem Rauchen, nämlich dass man aus Nervosität raucht. Ansonsten halte ich es für mutig und bewundernswert, dieses Gestaltungsmoment des Rauchen mehrfach eingebracht zu haben (nicht nur, weil ich selbst rauche bzw. dadurch in der Pause inspiriert worden bin, zu rauchen): Wenn man an das verstärkte Rauchverbot denkt, wie es von der EU erlassen worden ist (auf die man sich immer beruft, nachdem man vorher selbst diesbezüglich nachgeholfen bzw. dahingehende Regelungen eingefädelt hat) ist dies – aus der Sicht meiner Rezeption – als wunderbarer Affront gegen eine Praxis der Bevormundung anzusehen, die auch in NRW diskutiert worden ist.

Über die Durchbrechung des Rauch-Tabus hinaus war noch mehr auffällig das unentwegte Hantieren mit Koffern: Man singt mit einem Koffer auf dem Schoß, man wirft Koffer hin und her, man stapelt sie gar, und man öffnet sie und schließt sie wieder, etc. Mit den Koffern verbundene Aktivitäten erschienen mir (wie anderen) zunächst als penetrant und als modernistische Mache, die teils störend, irritierend, und zumindest absonderlich wirkte. Wenn man allerdings genauer darüber nachdenkt, kann man dem Einsatz dieses Utensils durchaus einen Sinn nicht absprechen: Zum Koffer-Stereotyp (mit der stereotypen Bedeutung, die sich mit dem sprachlichen Ausdruck Koffer bzw. mit einem Koffer als Gegenstand verbindet) zählt sicherlich, dass das Packen eines Koffers/von Koffern wesentliches Moment von Aktivitäten im Zusammenhang mit einer Reise ist. Unter zeitlichem Aspekt handelt es sich dabei um ein Übergangsstadium, betrachtet von einem Punkt der Vergangenheit aus, an dem man sich zuvor aufgehalten hat (von dem man hergekommen ist); oder man macht sich zu einem Punkt in der nahen Zukunft auf: In jedem Falle verbindet sich mit dem Hantieren mit Koffern, dass man entweder noch nicht ganz in der aktuellen Gegenwart angekommen ist, oder dass man gedanklich nicht mehr ganz bei der aktuellen Gegenwart ist (Vorbereitungen für die nahe Zukunft trifft). Assoziativ mag sich hier (zusätzlich) auch die Deutung/Interpretation im Sinne einer Zeitreise bzw. des Zeitenthobenen oder des Unterwegsseins einstellen – gerade auch im Hinblick auf die (gemäß Libretto) zeitlich weit zurückliegenden Ereignisse (bzw. hinsichtlich der tragischen Perspektiven am Schluss).

In dem Zusammenhang lässt sich auch ein Detail betrachten, das zunächst ebenfalls für Irritationen gesorgt haben mag: Manrico hebt mit einem Haken an der rechten Seite den Teppich bzw. den Bodenbelag der Bühne hoch, um sodann in der sich auf diese Weise bildenden Ecke gesanglich zusammen mit seiner Partnerin zu agieren. Dies lässt sich als Heraustreten aus dem aktuellen raum-zeitlichen Geschehen erfassen, das damit als arrangiert erscheinen muss. So gesehen ist dies eine Aktivität gleichsam auf einer Metaebene: Auf den gegebenen Zustand (der Bühnengestaltung) selbst wird, diesen arrangierend, eingegriffen, und damit dieser in besonderer Weise reflektiert. Wie die Inszenierung das Ergebnis einer Interpretation des Opern-Stoffs durch den Regisseur (Dirk Schmeding) und andere Verantwortliche ist, und wie diese Reflexion z.B. in dem Detail des Eingreifens eines Akteurs auf der Bühne (Manrico schafft sich eine Ecke) sogar als arrangiert vorgeführt wird, so muss unbedingt auch Reflexion auf Seiten der Rezipient(inn)en vorausgesetzt und erwartet werden können, um zu einer angemessenen Einschätzung der Aufführung gelangen zu können. Wenn letzteres gegeben ist, kann man im Ergebnis individueller Deutungen/Interpretationen nur zu dem Schluss gelangen, dass es sich hier um eine seriöse und sehr gut durchdachte Aufführung gehandelt hat. Nicht vergessen sei, zu erwähnen: In sehr vorteilhafter Weise sind nur zentrale Formulierungen des Librettos der italienisch gesungenen Oper als Überschriften eingeblendet worden. Abschließend möchte ich auf folgendes hinweisen: Beeindruckend waren nicht nur die Gesangsstimmen; ebenso beeindruckend (jedenfalls aus meiner individuellen Rezeptions-Perspektive) waren zahlreiche kleine, leicht zu übersehende Aktivitäten: So fasst z.B. der Graf von Luna die (wohl als schmuddelig angesehene) Zigeunerin mit seiner Serviette an der Schulter an. Erwähnt sei schließlich auch eine kleine Szene, die deshalb umso nachdrücklicher in Erinnerung bleiben dürfte, weil sie in ihrer markanten Schnörkellosigkeit einen großen Assoziationsspielraum (gerade auch angesichts aktueller Vorkommnisse in verschiedenen Teilen der Welt) eröffnet: Wie selbstverständlich, und ohne jede emotionale Regung auf Seiten der Beteiligten, werden Gefangene in Bündeln von adretten Damen nach hinten abgeführt.


 

W.W.
----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

„Schlafes Bruder“ vielfach beleuchtet

 

Ergebnisse einer Mehrfach-Lektüre des Erfolgsromans von Robert Schneider mit dem Titel „Schlafes Bruder“ (19. Aufl. Leipzig: Reclam 1998)

 

(Präludium: Einstieg im Stil des Autors; Interludium: Erstorientierung; Purgatorium: exhaustive Analyse auf allen Ebenen [muss noch überarbeitet werden; deshalb hier ausgelassen])

 

Werner Wolski

 

 

KANN DENN LIEBE SÜNDE SEIN?

 

(Gegenwort zu dem Leitmotiv „Wer schläft, liebt nicht" aus SCHLAFES BRUDER)

 

 

Wer schläft,

sündigt nicht.

 

Wer gesündigt hat,

schläft lange.

 

Wer schläft,

liebt gut!

 

Wer wenig schläft,

dem fehlt der Mut.

 

Wer lange schläft,

der hat ein Luder -

wer gar nicht schläft,

den Tod als Bruder.

 

 

 

 

I. P r ä l u d i u m : Der November 1998

 

Dass wir uns hier mit dem Erstlingswerk Schneiders auseinandersetzen, hat folgende Bewandtnis: Wir haben von dem Roman Kenntnis erlangt, als wir im Rahmen der mündlichen Staatsprüfungen im November 1998 fast zwei Wochen lang von morgens bis abends mit Prüfungsaufgaben befasst und nur zum Schlafen nach Hause gekommen waren. Denn es fügte sich zur selben Zeit - wir wissen nicht, weshalb - , dass im literaturwissenschaftlichen Teil der Prüfungen, denen wir protokollierend beizusitzen hatten (wie umgekehrt der Beisitz für den sprachwissenschaftlichen Teil von Kollegen und Kolleginnen aus der Literaturwissenschaft übernommen wurde), mehrmals ein uns vollkommen unbekanntes Werk, dessen Verfilmung sowie Möglichkeiten der Behandlung im schulischen Unterricht, Prüfungsthema gewesen ist.

 

Was uns zu Ohren kam, war die Rede von einem geheimnisvollen Stein, welcher dem Protagonisten des Romans namens Elias ein schicksalhafter Fixpunkt gewesen sei - einem grandiosen musikalischen Genius, der aufgrund erbärmlicher Lebensumstände nicht zu dem ihm gebührenden Nachruhm gelangen konnte. Und wir geben ohne Hehl zu, dass auf uns Schilderungen von unglaublich beeindruckender Orgelmusik, welche jener ohne entsprechende Schulung zu veranstalten in der Lage gewesen sein soll, nicht minder ohne Eindruck geblieben sind wie die im Rahmen der Prüfungsgespräche wiederholt vernommenen Ausführungen zu einer unerfüllten Liebe, welche den Helden des Romans am Ende offenbar in den Wahnsinn getrieben hat.

 

Und als sich Kandidatin und Prüfer gegenseitig mit Hinweisen auf die Schönheit einzelner Filmpartien geradezu überboten und auch der Prüfungsvorsitzende in die Schwärmereien mit einstimmte, ja wir nicht einmal wussten, was wir eigentlich protokollieren sollten, vielmehr befürchteten, sie würden sich alle in Kürze weinend in den Armen liegen, da wurden wir still und dachten: Welch ein Schauspiel!

 

Eine geheimnisvolle Glut schien in die Herzen gekommen. Es ist müßig, darüber zu forschen, weshalb bei den Beteiligten ein solches Einvernehmen in der Bewertung von Buch und insbesondere Film herrschte. Zwar richteten wir unseren Blick bald auf diese, bald auf jene Person in der Hoffnung, auch Einzelheiten des Textes in Erfahrung bringen zu können. Aber wie jede Hoffnung ohne Sinn ist, so mussten wir uns mit vager Ahnung zufrieden geben, es handele sich um ein ausgezeichnetes Werk. Immerhin spricht dafür, dass das Manuskript, wie uns zu Ohren kam, von etwa zwanzig Verlagen abgelehnt worden ist, ehe Reclam die Veröffentlichung übernahm. 

 

Es ist unbegreiflich, wie wenig wir als Beobachter damaliger Prüfungsgespräche über das Buch in seiner Eigenschaft als Sprachkunstwerk ausmachen konnten. Allzu einfach vernimmt sich der Gedanke, man habe das Buch überhaupt nicht gelesen. Wir denken, dass es recht zu behaupten ist, den Beteiligten müssten - man wird es angesichts ihrer spärlichen Ausführungen dazu nicht glauben - die wichtigsten Passagen zumindest inhaltlich vertraut gewesen sein. 

 

Zu jener Zeit kannten wir die Verfilmung nicht, und wir kennen sie auch jetzt noch nicht. Das ist wahr. So können wir die Frage nicht beantworten, ob die Darlegungen der einen oder anderen Kandidatin nun die Folge eines grell halluzinierenden Geistes war, der Merkwürdiges wahrnahm, oder ob es sich um den tatsächlich existierenden Umstand handelte, dass dem Buch in einzigartiger Weise eine diesem angemessene Verfilmung zuteil geworden ist. Gar manche Sonderlichkeit gäbe es von den Prüfungsgesprächen noch zu berichten.

 

Aber nach diesem irrsinnigen Beginnen heben wir die Augen von solchen Vorkommnissen und werfen in unserer niedrigen Schreibstatt einen kurzen Blick auf den Roman selbst. Zuvor müssen wir noch erläutern - und der Leser möge sich die Frage bewahren, wann wir die Darstellung endlich auf Besonderheiten des Werks hinführen -, dass wir ursprünglich durchaus nicht vorhatten, eine Art Rezension zu schreiben; vielmehr trachteten wir - mit hochgestimmtem Herzen nach der ersten oberflächlichen Begegnung - nur, den Roman für uns selbst genauer zu erforschen.

 

Da aber fügte es sich, dass wir von unserer Mitarbeiterin darauf aufmerksam gemacht wurden - und unser Herz überschlug sich vor Freude - , es gebe einen Rezensionsband zu dem Buch. Also untersuchten wir auch die dort versammelten Beiträge. Vieles, was wir dort lasen, erschien uns sogleich und erscheint uns auch jetzt noch niveauvoll und weiterführend, manches aber auch unbegreiflich und ganz und gar abwegig. Und mit zorniger Faust möchten wir den einen oder anderen Rezensenten festhalten und ihm ins Gesicht schreien: „Phantasiere nicht schwärmerisch und schönrednerisch herum. Sieh dir den Text doch einmal genauer an“! - Aber es würde nichts nützen; er würde es nicht verstehen. Wir müssten verstummen. Und weil wir das wissen, fassen wir ihn nicht mit zorniger Faust bei den Schultern. Besser machen wir uns selbst auf, ein paar Gedanken anzuschließen, die sich aufgrund der mehrfachen Lektüre des Buchs eingestellt haben.

 

II. I n t e r l u d i u m : Reflexionen angesichts der Erstlektüre

 

Die nachfolgenden Ausführungen zielen darauf, in Ergänzung der zur Kenntnis genommenen Beiträge aus Moritz (Hrsg.) 1996 sowie Möckel (1997), insbesondere auf einige sprachbezogene Eigentümlichkeiten des Buchs aufmerksam zu machen. Aus der Perspektive eines Beobachters, der sich viele Jahre mit dem Werk Paul Celans und der Celan-Philologie beschäftigt hat (siehe: „Gedeutetes verstehen – Sprachliches wissen“, Frankfurt [usw.]: Peter Lang 1999), ist es zunächst ganz und gar verblüffend, dass auf Seiten der Literaturkritik ganz ähnliche Muster in der Rolle von Einordnungsinstanzen hervortreten, wie diese im Hinblick auf das Werk Paul Celans von der Erstrezeption bis heute kennzeichnend sind. Dort hielten sich in der Kritik anfangs die Waage: eine übertriebene Verklärung des Werks sowie heftige Vorwürfe, der Autor wolle sich durch „Verheimlichung hinter das Wort" und sprachliche Verkünstelung interessant machen. Dass heute (nach fast 40 Jahren Celan-Philologie) das Pendel zugunsten der Einschätzung des Werks als „authentische Lyrik" ausgeschlagen ist, hat im Wesentlichen mit der gegebenen zeitlichen Distanz und mit dem Umstand zu tun, dass Dichtung dieses Typs sowieso keine Angelegenheit der breiten Masse werden konnte, mithin die Kritiker im Literaturbetrieb unter sich geblieben sind.

 

Für die Situation ist - neben der Projektion individueller Kenntnisse auf ausgesuchte  Kernausdrücke des einen oder anderen Gedichts - kennzeichnend, dass den irgendwann eingespielten Formeln des Typs „Magie" (der Form), „Metapoesie", „hermetische Lyrik", „Neigung zum Verstummen", fehlende „Repräsentation von Wirklichkeit" resp. „Weltverlust" u. a. m. bestenfalls neue Nuancen abgewonnen werden – Aspekte, auf die ausführlich in „Gedeutetes verstehen – Sprachliches wissen“ eingegangen worden ist. Und wo man sprachliche Aspekte des Werks anschneidet, sind dafür bis heute nur völlig erbärmliche sprachwissenschaftliche Einordnungsinstanzen zur Verfügung gestellt worden, die der theoretischen Ausrichtung nach irgendwo bei F. de Saussures signifiant und signifié stehen geblieben sind - wenn nicht gar auch dieses, aus dem Grundstudium späterer Literaturwissenschaftler(innen) stammende, Miminum noch mystifizierend fehlinterpretiert wurde, wie öfters geschehen.

 

Heute stehen Interpretationen im Sinne einer christlich-religiösen Heilsbotschaft neben solchen, die jeden für bedeutsam gehaltenen Ausdruck aus dem einen oder anderen Gedicht mit der Holocaust-Erfahrung des Autors in Verbindung bringen, das Werk kabbalistisch-mystisch deuten, es in die Nähe zum Existentialismus rücken, oder es gar aus der Warte kaum interpretierbaren esoterischen Gedankenguts betrachten. Einem nüchternen Beobachter bietet sich - angesichts allen Sprachgebarens, welches dem einen oder anderen Jargon verpflichtet ist - unweigerlich das Bild, dass die meisten Ausführungen zum Werk kryptischer als das Werk selbst sind, und dass die Einordnungsversuche mehr Ähnlichkeiten mit der Bibelexegese oder dem Wort zum Sonntag aufweisen, denn mit einem als wissenschaftlich anzusprechenden Zugriff. 

 

Und wo im legitimen Bemühen um Sachlichkeit der Versuch unternommen wird, durch teils akribische Recherchen den verschiedenen „versteckten" Anspielungen (die neben expliziten und per Kursivdruck gekennzeichneten Bezugnahmen auf andere Texte gegeben sind) bis in die entlegendsten Winkel nachzuspüren und die „Daten" zu „enttarnen", so wird auch hier oft genug nach dem Muster einer fragwürdigen Projektion vermeintlicher Wissensbestände auf die eine oder andere Gedichtpartie verfahren. Wenngleich nicht ausgeschlossen ist, damit auch der Erhellung des Gegenstand förderlich zu sein, kommt doch dem Kokettieren mit Ergebnissen von Recherchen (der Präsentation entsprechenden „Wissens") im wesentlichen die Rolle zu, gegen Konkurrenten im Literaturbetrie